© Harmonic+Masson & Associés

Der Grand Paris Express nimmt Fahrt auf: Die französische Hauptstadt wächst über ihre Grenzen hinaus und wird zur Metropole »Grand Paris«. Große Infrastrukturprojekte, darunter vier neue Metrolinien, werden hier zum Investment-Booster.

13 . Juni 2023 - By Maik Novotny

Ganz Paris träumt, wie wir aus seriösen Quellen wissen, von der Liebe. Aber was genau ist »ganz Paris«? Jahrhundertelang war man sich über diese Frage einig: Paris endete an den Stadtmauern, und als diese Stadtmauern abgebrochen waren, endete es – unschön, aber eindeutig – am Boulevard périphérique, dem verlässlich verstopften Autobahnring, an dem alle Liebesträume zerschellten. Dahinter war die Banlieue mit ihren sozialen Brennpunkten und ihrer grauen Infrastruktur. Und das war definitiv nicht mehr Paris. Doch immer wieder gab es Vorstöße in dieses konturlose Territorium. Da war das Viertel La Défense, in das die Business-Wolkenkratzer ausgelagert wurden, die man intra muros nicht haben wollte, da waren die Villes ­nouvelles der 1960er- und 1970er-Jahre, deren große Gesten oft am Alltag scheiterten oder halbfertig aufgegeben wurden.

ÜBER DIE STADTMAUER

Doch im 21. Jahrhundert sollte es endlich ­gelingen: Paris wurde nach vielen Versuchen Grand Paris, und das ernsthaft – die ­Olympischen Spiele 2024, die an Paris vergeben wurden, spielten hier sicher keine unbeträchtliche Rolle. Denn hier will man sich nicht nur von der besten Seite zeigen, hier muss auch alles funktionieren, und viele der Sportstätten liegen außerhalb der Périphérique. 2014 wurde das Gesetz »Loi MAPTAM« beschlossen, das Paris mit seinen Umlandgemeinden zur neuen Métropole du Grand Paris vereinigte, die am 1. 1. 2016 rechtskräftig wurde. Mit 131 Kommunen und 7,2 Millionen Einwohner:innen ist sie ein Schwergewicht, für das das Wort »Grand« nicht zu groß ist. Die großen Pläne sollten umgehend folgen. 2017 startete der Wettbewerb »Inventons la ­Métropole du Grand Paris«, der 51 Projekte mit 7,2 Milliarden Euro Investitionssumme und 14.000 neuen Wohnungen umfasste, damals der größte ­Planungswettbewerb in Europa. 2019 folgte der zweite Schub. »Die Ergebnisse sind ein klares Zeichen, dass Grand Paris ein Hauptmotor von Frankreichs Attraktivität wird«, freute sich Patrick Ollier, Präsident der neuen Metropole.

 

Goldene Vision Das erste neue Pariser Wohnhochhaus seit den 1970er-Jahren steht am Stadtrand des 13. Arrondissements. Der clever verschachtelte Doppelturm darf in glamourösem Gold glänzen und wurde bereits preisgekrönt. hamonic-masson.com

© Takuji Shimmura

Total transparent Auch das Hochhausviertel La Défense wächst weiter: Für ihren Hauptsitz, die »Tour Saint-Gobain«, lud Investor Generali die Weltstars der Architektur zum Wettbewerb. Es wurde ein Heimspiel für das Büro Valode & Pistre. v-p.com

© Laurent Kronental

Toblerone für Paris Seit Jahren in der Warteschleife ist die heftig umstrittene »Tour Triangle«, entworfen von den Schweizern Herzog & de Meuron. Der projektierte Baustart wurde inzwischen wieder verschoben. herzogdemeuron.com

© Herzog & de Meuron

Farbenfrohe Vorortidylle Der Wohnbau erfährt durch Grand Paris eine Renaissance, so auch in diesen eleganten Stadtvillen im Grünen, gelegen in Massy südlich von Paris. archi5.fr

© Sergio Grazia Photographie

Rasante Linien Olympia 2024 steht vor der Tür, und der Sport wird zum Motor von Grand Paris. Zum Beispiel auf der Pferderennbahn Longchamp, von Dominique Perrault mit schnittiger Dynamik entworfen. perraultarchitecture.com

© TMDP architecte

BAULICHE DYNAMIK

Damit ist es der Größe noch lange nicht genug, denn man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und weiß heute, dass für große Stadtentwicklungsprojekte ein Faktor elementar ist: die Verkehrsinfrastruktur. Hier hat man einen Kraftakt gewagt und erweitert die Pariser Metro bis in die Peripherie zum Grand Paris Express. Die vier neuen Linien 15, 16, 17 und 18 sowie die verlängerten Linien 11 und 14 werden die wichtigen Vorortzentren sowie die Flughäfen Charles de Gaulle und Orly erschließen. Anders als die heutige RER wird der Grand Paris Express nicht zentralistisch die Vorortpendler:innen ins Herz von Paris und wieder nach Hause bringen, sondern die Vororte untereinander verbinden. Das macht ihn zu einem Investment-Booster, denn rund um die neuen Stationen und Knotenpunkte sind enorme Immobilienprojekte in Entwicklung. Gesteuert wird der Express von der 2010 gegründeten Planungsbehörde Société du Grand Paris. Während das »alte« Paris unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor allem beim Umbau der Straßen und Plätze für Fuß und Rad radikal ist, ansonsten aber museal versteinert, wird das neue große Paris zum Schauplatz baulicher Dynamik. Eine Gelegenheit auch für Frankreichs Architekt:innen, zu zeigen, was sie können. Jean Nouvels futuristische »Tours Duo« markieren die alte Stadtgrenze im Südwesten, Dominique Perrault baut kathedralenartige Metrostationen, und die junge Generation begabter Wohnbauarchitekt:innen wie Hamonic + Masson erweckt neue Quartiere zum Leben. Die Franzosen liebten eben schon immer das Wort »grand« und manchmal auch zu Recht.

DIESER ARTIKEL ERSCHIEN IM RESIDENCES 2301

Für den LIVING Newsletter anmelden

* Mit Stern gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Anrede

Genuss – das ist zentrales Thema der Falstaff-Magazine. Nun stellen wir das perfekte Surrounding dafür in den Mittelpunkt. Das Ambiente beeinflusst unsere Sinneseindrücke – darum präsentiert Falstaff LIVING Wohnkultur und Immobilien für Genießer!

JETZT NEU LIVING 23/07