© Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Bourgeois und Bertlmann: Zwei starke Frauen im Belvedere

Mit der LIVING-Kunstherbst-Serie präsentieren wir Ihnen ab sofort Ausstellungshighlights, Szene-Events und ausgewählte Persönlichkeiten der heimischen Kunstszene. Aktuell: Das Belvedere in Wien zeigt zwei Künstler:innen, die mit gewichtigen Positionen aus dem Kanon ausbrachen und zu spätem Ruhm kamen.

03 . Oktober 2023 - By Redaktion

Header Bild: Louise Bourgeois, »Spider«, 1996, Bronze, courtesy: The Easton Foundation/Licensed by Bildrecht, Austria and VAGA at ARS, NY.

Die Würdigung ließ auf sich warten: Denn erst seit ihrem Biennale Beitrag für Österreich im Jahr 2019 ist Renate Bertlmanns Werk einem breiterem Publikum bekannt. Sie war die erste Frau, die im Alleingang den österreichischen Pavillon in Venedig bespielte. Man erinnere sich: Brigitte Kowanz wurde 2017 Erwin Wurm an die Seite gestellt. Der späte Ruhm verwundert, ist die künstlerische Position der Pionierin der Feministischen Avantgarde in Österreich durchaus eine Bemerkenswerte. Die explizite, teils ironische künstlerische Verarbeitung und die Rekontextualisierung von sexualisierten Symbolen eckten im Laufe der Zeit durch die Direktheit ihrer künstlerischen Sprache immer wieder an. Die Foto-, Objekt- und Performancekünstlerin Renate Bertlmann ließ sich nicht leise stellen und verfolgte konsequent ihren Weg. Nun, im Jahr ihres 80. Geburtstages, erhält die Staatspreisträgerin die erste umfangreiche Personale im 21-er Haus des Belvederes. »Fragile Obsessionen« (29. September 2023 bis 3. März 2024) titelt die Ausstellung zum Bertlmann'schen Kosmos. Eine Woche zuvor eröffnete im Unteren Belvedere die große Herbstschau über eine nicht weniger bemerkenswerte Künstlerin. Selbstverständlich lauert seit einigen Tagen im barocken Garten des Belvedere eine ihrer weltberühmten Riesenspinnen und kündigt das Oeuvre der französischen Parade-Bildhauerin Louise Bourgeois an. Die Ausstellung »Unbeirrbarer Widerstand« (22. September 2023 bis 28. Jänner 2024), widmet sich vor allem dem malerischen Frühwerk der Französin und setzt es in den Dialog mit ihren späteren, skulpturalen Arbeiten. Auch bei Louise Bourgeois ließ der durchschlagende Erfolg auf sich warten. LIVING sprach mit dem Kurator:innen Team des Belvedere zu den Austellungen der beiden Künsterinnen. 

Renate Bertlmann, »Ex Voto«, 1985, Courtesy Renate Bertlmann.

 

© Renate Bertlmann / Bildrecht, Wien 2023

Renate Bertlmann, »Zärtliche Berührungen« - Tableau, 1976/2009, Courtesy Richard Saltoun Gallery, London und Rom.

 

© Renate Bertlmann / Bildrecht Wien, 2023

Renate Bertlmann, »Braut und Bräutigam«, 1975, courtesy: Artothek des Bundes, Wien.

 

© Elfriede Mejchar

LIVING  Mit Louise Bourgeois und Renate Bertlmann gastieren zwei wichtige weibliche Kunstpositionen im Belvedere. Wie kam diese Programmierung zustande?

Luisa Ziaja: Weibliche Positionen spielen in der Programmierung des Belvedere der letzten Jahre eine zentrale Rolle, dies spiegelt sich auch und gerade in den Ausstellungen zum Jubiläumsjahr wider: Die großen Herbstausstellungen Louise Bourgeois und Renate Bertlmann zu widmen ist daher nur konsequent.

Bei beiden Künstlerinnen ist die Frau ein zentrrales Thema. Inwiefern wurde die Kunst zum Katalysator des Standpunktes?

Johanna Hofer und Sabine Fellner: Louise Bourgeois Haltung gegenüber dem Feminismus war sehr ambivalent. Ihre Serie der »Femme Maison« Bilder wurde zu einem Leitbild der zweiten Welle der feministischen Bewegung und sie engagierte sich auch eine Zeit lang für die amerikanische Frauenbewegung, distanzierte sich aber dann wieder davon.

Luisa Ziaja: Renate Bertlmann ist eine wesentliche Protagonistin der Feministischen Avantgarde, sie formuliert ihre Kunst aus einer dezidiert feministischen Perspektive und ist aktiver Teil der zweiten Frauenbewegung. Ihre Werke entstehen vor dem Hintergrund einer kritischen, feministischen Theorieproduktion, die gesellschaftliche Machtverhältnisse und die soziale Konstruktion von Geschlecht analysiert. Ihr spezifisches Vokabular, das Bertlmann in den 1970er-Jahren entwickelt, Formen und Motive, wie der Phallus, die Vulva und die Brust, Braut und Bräutigam, der Rollstuhl, Schnuller und Skalpellmesser, sind bis heute Konstanten in ihrer Auseinandersetzung mit männlicher Dominanz und spießbürgerlicher Moral.

Louis Bourgeois beschäftigte sich zeitlebens mit dem Verhältnis zu ihren Eltern, vor allem zu ihrer früh verstorbenen Mutter, woraus die berühmten Spinnen-Plastiken hervorgingen. Die  Eltern-Kind-Konstellation hat sich seit der Werkentstehung stark gewandelt. Was sagen uns diese Arbeiten heute?

Johanna Hofer und Sabine Fellner: Das Verhältnis zu den Eltern ist und bleibt eine prägende Erfahrung für ein Kind, unabhängig von herrschenden Erziehungsnormen. Ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit bleibt daher zeitlos und spricht auch aktuell jeden unmittelbar an.

Die Ausstellung »Unbeirrbarer Widerstand« fokussiert vor allem das malerische Frühwerk von Louise Bourgeois. Was sind die Besonderheiten daran?

Johanna Hofer und Sabine Fellner: Bereits in ihren frühen Ölgemälden, aus der Zeit zwischen 1938 und 1949, legte Louise Bourgeois den formalen und inhaltlichen Grundstein für ihr späteres Schaffen. Sie entwickelte bereits in der Zweidimensionalität ihr unverwechselbares künstlerisches Vokabular und fand zu den Themen ihrer Kunst. Von Anfang an kreist ihre Kunst stets um den Menschen, in seiner physischen und psychischen Verfasstheit und um seine Interaktion mit seinem Umfeld. Sie thematisiert zwischenmenschliche Beziehungen, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und das Verhältnis des Menschen zu Natur und Zivilisation. Es sind Motive, wie beispielsweise das Haus, der Baum, die Figur, die Spirale oder der Tropfen, die erstmals in den Gemälden zu metaphorischen Bedeutungsträgern werden. Später tauchen sie in abgewandelter Form in Skulpturen, Grafiken und ihren Zellen erneut auf.  

Zurück zu Renate Bertlmann: Erst 2019 bekam ihr Werk durch den Biennale Beitrag die verdiente Aufmerksamkeit, die erste Retrospektive erhält sie jetzt 80-jährig in ihrem Haus? Weshalb der späte Ruhm?

Luisa Ziaja: Renate Bertlmann arbeitet seit fünf Jahrzehnten obsessiv an ihrem Kosmos, zu dem Fotografien und Zeichnungen, Assemblagen, Skulpturen, Installationen, Performances, Filme und Videos gehören. In den 1970er-Jahren hat Renate Bertlmann mit ihren Performances schonungslos klassische weibliche Rollenbilder dekonstruiert. Die Kompromisslosigkeit ihrer Arbeit ist sicher ein Grund warum sie – wie andere großartige Künstlerinnen dieser Generation –  erst spät internationale Aufmerksamkeit erlangte. Bis zu einer wichtigen Überblicksschau in der Vertikalen Galerie der SAMMLUNG VERBUND in Wien im Jahr 2016 war Bertlmann zumeist nur im feministischen Kontext bekannt. Parallel dazu  entstand die erste umfassende Publikation über ihr Werk. Dies führte zu einem aufkommenden Interesse von Galerien und Institutionen und schließlich zu ihrer Teilnahme an der 58. Biennale di Venezia 2019. Dies markiert ihren künstlerischen Durchbruch. Eine große Retrospektive war längst überfällig, und es freut uns besonders, ihr Oeuvre im Jahr ihres 80. Geburtstags hier im Haus zugänglich zu machen.

Zugespitzt formuliert: Weshalb ist es 2023 weiterhin wichtig den feministischen Standpunkt -  auch in der Kunst - im Fokus zu behalten?

Luisa Ziaja: Zentrale, miteinander verwobene Bereiche im Werk von Renate Bertlmann sind Pornografie, Ironie und Utopie. In diesen Begriffen klingt Bertlmanns radikale Widerständigkeit gegen patriarchale Wertvorstellungen, aber auch ihre Freude an lustvollen Experimenten an. Ihre ironisch-provokativen Arbeiten unterwandern gesellschaftliche Zuschreibungen und Stereotype von Geschlecht, Weiblichkeit und Männlichkeit. Sie adressieren dabei die Kampfzone des weiblichen Körpers, ebenso wie Ambivalenzen von Lust und Schmerz, Begehren und Disziplinierung, Zärtlichkeit und Verwundbarkeit. Diese Themen sind heute nicht weniger aktuell als damals.

DIE GESPRÄCHSPARTNERINNEN

Luisa Ziaja, Chefkuratorin und Hauptabteilungsleitung Kurator:innen des Belvedere Wien. Sie kuratierte die Retrospektive zu Renate Bertlmann. 

Johanna Hofer und Sabine Fellner, Kuratorinnen der Personale zu Louise Bourgeois.

 

Louise Bourgeois, »The Runaway Girl«, 1938, courtesy: The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023.

© Foto: Christopher Burke

Louise Bourgeois, »Untitled», 1947, courtesy: The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023, Collection Crystal Bridges Museum of American Art, Bentonville, Arkansas.

© Foto: Christopher Burke

Louise Bourgeois, »Fallen Woman (Femme Maison)«, 1946-47, courtesy: The Easton Foundation / Bildrecht, Wien 2023.

© Foto: Christopher Burke

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