»Der Teppich ist für mich ein Medium«
Glühende Meteoriten, reflektierendes Wasser, blumige Fantasiewelten – Jan Kaths Teppichkreationen erzählen Geschichten, die bewegen. Neuerdings auch vom Krieg, in seiner von der Pop-Art inspirierten Kollektion »Rug Bombs« in Szene gesetzt. In der Wiener Hofburg geht es zum Design District ab 6. Oktober in seiner Ausstellung aber harmonisch zu. Das LIVING-Interview über Vergangenheitsbewältigung, barocke Entwürfe und geklautes Design.
04 . Oktober 2022 - By Angelika Rosam
Drei Jahre ist es her, da Teppichkreateur Jan Kath das letzte Mal beim Design District in der Wiener Hofburg einem fachkundigen Publikum seine Knüpfkunst zur Schau stellte. Das war noch vor der Pandemie und freilich vor unser aller Sorgenkind, dem Ukraine-Russland-Konflikt. Seitdem hat sich, Corona zum Trotz, so einiges nachhaltig Positives im Kath’schen Teppich-Imperium getan: neue Projekte, keine Entlassungen in der Krise, das Unternehmen ist ob einer stabil funktionierenden Infrastruktur und eines starken Teams weiterhin auf Erfolgskurs.
Zwischen Meteoriten und französischem Savoir-vivre
Zum Design District 2022 ist der 50-Jährige nun wieder nach Wien gereist. Mit neuen Kollektionen bespielt er unter persönlicher Präsenz den Wintergarten in der Hofburg und demonstriert ein weiteres Mal seinen extravaganten Zugang zum Teppichdesign. Da ist »Spectrum« zum Beispiel, Teppiche, die mit ihren Strukturen und Farbwinkeln an glühende Meteoritenkerne oder reflektierendes Wasser erinnern und doch völlig abstrakt bleiben. In der Tat fühlt man sich hier sogar ein wenig in eine anthroposophische Malerei gebeamt. Mit der Romantik-Serie »Savonnerie Surprise« darf wiederum geträumt werden – die Hommage an die historischen »Savonnerie«-Pretiosen, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Frankreich hergestellt wurden, präsentiert französisches Gefühlsleben pur. Was wir in den letzten Jahren gelernt haben: Kath ist vielseitig und Kath ist immer für Überraschungen gut. Denn Teppiche sind seine Leinwand, Wolle seine Farbe, sagt er. Und in vielerlei Hinsicht sind Teppiche ein Spiegel ihrer Zeit. Sie reflektieren jene Situationen und Realitäten, mit denen Menschen über Jahre konfrontiert werden, und demonstrieren oft ernüchternde Resultate. Und als hätte Kath den Krieg in der Ukraine vorausgesehen, lernen wir den Sohn eines Teppichhändlers aus Bochum von einer Seite kennen, die uns bis dato nicht möglich erschien. Der Mann, der mit seinen Teppichen sonst die blumige Fantasie und Harmonie in uns regte, wird plötzlich auch ernst. Nach längerer Entwicklung im Sommer am Rande der documenta in Kassel vorgestellt, werden wir mit der neuen »Rug Bombs«-Kollektion mit Teppichen konfrontiert, die im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Bombe eingeschlagen haben. Mit den Themen Gewalt und kriegerische Konflikte in den vergangenen Jahrzehnten will man provozieren: auf den Einzelstücken prangen Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Drohnen, fliehende Menschen – Kriegsszenen, die ein schonungsloses Bild der aktuellen Situation auf der Welt zeigen.
»Erstmals trete ich nicht als Dekorateur, sondern als Künstler auf«, so Kath über die von der Pop-Art beeinflussten »Rug Bombs«. Diese neue Kollektion soll derzeit nicht im Verkauf erhältlich sein, sondern ausschließlich in mehreren Ausstellungen gezeigt werden. Nach Kassel ist ab 22. Oktober die Art Biennale in Bangkok nächster Schauplatz der extremen Teppichkunst In der Wiener Hofburg hat man aber die Gelegenheit, die sanftere Seite Kaths zu inspizieren, und vielleicht auch Lust, das eine oder andere Unikat gleich mit nach Hause zu nehmen …
LIVING bat den Designer und Künstler zum interessanten Talk über aktuelle Geschehnisse, Krisenbewältigung und darüber, warum Teppiche therapeutische Wirkung besitzen.
LIVING Unser letztes Interview war 2019. Damals waren Sie mitten drinnen, mit Ihren neuen Kollektionen das verstaubte Image des Teppichs hochzupolieren. Was hat sich seitdem verändert?
Jan Kath Ich bin meinem Konzept treu geblieben und versuche stetig, die Grenzen weiter zu verschieben und Sehgewohnheiten zu verändern. Über die Jahre sind einige Kollektionen hinzugekommen. Jetzt, in der Hofburg zeigen wie die »Savonnerie Surprise«-Teppiche, die ihren Ursprung in der Zeit kurz vor der Französischen Revolution, also im Barock haben. Natürlich bleiben wir auch hier unserem Konzept treu: Die alten Designs kommen in einem hochmodernen und zukunftsweisend neuen Kleid daher.
Aber wir erleben Jan Kath erstmals auch ernst: Die Motive in Ihrer neuen Kollektion »Rug Bombs«, die nicht für den Verkauf, sondern nur für Ausstellungen gedacht ist, spiegeln die derzeit tragische Kriegssituation auf der Welt wider …
Die Gründe, warum ich mich mit den Themen Krieg und Gewalt beschäftige, liegen Jahre zurück und haben die Wurzeln in meiner Kindheit. Der Auslöser war nicht der Konflikt in der Ukraine –Hellseher bin ich freilich keiner und die Entwicklung einer neuen Teppichkollektion dauert über viele Monate an –, sondern der Krieg im Irak und seine Folgen. Abu Ghraib und Guantánamo haben mich extrem beschäftigt und etwas in mir verändert. Ebenso der schmutzige Krieg in Syrien und die daraus resultierende Flüchtlingsbewegung haben tief liegende Erinnerungen geweckt.
Wie dürfen wir das verstehen?
Ich bin ein 1972er-Jahrgang. Zwar habe ich den Zweiten Weltkrieg nicht miterlebt, aber das Thema war bei uns immer präsent. Ich hatte eine starke Beziehung zu meinem Großvater mütterlicherseits, der als Wehrmachtssoldat in Polen, Frankreich und Russland kämpfte. Er hat mir viele Geschichten darüber erzählt, von den Ereignissen in den Schützengräben und von den Kämpfen kurz vor Stalingrad …