Alpine Architektur: »Die Landschaft sagt uns, was sie braucht«
Das Südtiroler Architekturbüro bergmeisterwolf setzt karge, nackte, archaische Gebäudeskulpturen in die alpine Landschaft und heimst mit seinen Wohn- und Hotelbauten einen Preis nach dem anderen ein. Ein Gespräch mit Gerd Bergmeister und Michaela Wolf.
06 . Juni 2023 - By Wojciech Czaja
Residences Die meisten Architekt:innen fotografieren ihre Bauten bei blitzblauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Bei Ihnen ist das anders. Auf Ihren Fotos herrschen Nebel und trübes Wetter. Warum?
Gerd Bergmeister Die Landschaft in Südtirol ist bekannt für das schöne Wetter und die kräftigen, prächtigen Farben. Fast alle Fotos von Häusern und Städten, die es gibt, fangen genau diese Postkartenidylle ein. Aber es gibt auch ein anderes Südtirol, das ganz und gar nicht süß und lieblich ist, ein Südtirol mit Wind, Nebel, Schneesturm, ein Südtirol mit karstigen Wiesen, borstigem Gestrüpp und schroffen Felswänden. Unsere Fotos fangen genau dieses andere Südtirol ein.
Was bedeutet das Kalte, Düstere, Winterliche für Sie?
Michaela Wolf Es geht um das Karge, das Nackte, das Archaische. Wenn man nicht von blauem Himmel und hübschen Urlaubswolken abgelenkt wird, kommt das gebaute Motiv besser zur Geltung. Wir wollen nichts beschönigen. Die Architektur soll für sich sprechen können.
Ist das eine Entscheidung Ihres Fotografen Gustav Willeit? Oder ein Wunsch Ihrerseits?
Wolf Sowohl als auch! Die Idee, unsere Bauten so zu fotografieren, ist vor einigen Jahren entstanden. Es passt einfach zu uns.
Bergmeister Jedenfalls hat die Entscheidung für alle Beteiligten sportliche Konsequenzen! Wir müssen schneller sein als die Sonne. Das heißt: früh aufstehen, Morgenreif einfangen, sämtliche Fotos müssen – egal welche Jahreszeit – zwar nach der Nacht, aber noch vor dem Sonnenaufgang im Kasten sein.
Wolf Manchmal nieselt oder regnet es, dann begleiten wir Gustav mit einem riesengroßen Regenschirm über die Wiesen, sodass er im Trockenen fotografieren kann. Schon sehr lustig, unsere Fototermine!
Zahlt sich der Aufwand aus?
Wolf Und wie sich das auszahlt! Wir führen mit Falstaff Living gerade ein Gespräch über unsere Architekturfotografie.
In gewisser Weise findet sich die Kälte auch in Ihren Projekten: Stein, Beton, Glas, kristalline Strukturen und eine raue, schroffe Erdverbundenheit.
Bergmeister Das Urige und Archaische ist uns sehr wichtig. Wir halten nichts von Moden und Trends, wir lesen keine Architekturzeitschriften, wir lassen uns fast nie von anderen Architekt:innen und zeitgenössischen Projekten inspirieren. Meistens finden wir die Vorbilder für unsere Architektur in der Landschaft, in den formalen, materiellen, atmosphärischen Besonderheiten vor Ort sowie in der Architekturgeschichte. Den größten Einfluss auf unsere Architektur haben wahrscheinlich die frühen Nutzbauten der Bauern, die damals aus einer funktionalen, ökonomischen und ressourcentechnischen Logik heraus in die Landschaft hineingesetzt wurden.
Wolf Wir sehen unsere Architektur – so wie dies bei den alten, historischen Bauernhäusern auch der Fall ist – als Zusammenspiel mit der Landschaft. Mal ist es ein sehr behutsames Hineinsetzen der Architektur, ohne der umliegenden Natur die Show zu stehlen, dann muss man das Haus am Foto oder in der Landschaft regelrecht suchen. Und mal ist es ein bewusster Dialog, ein Kontrast, ein freches, skulpturales Gegenstück zur Landschaft oder zur Stadtmorphologie rundherum. Die Landschaft sagt uns eh, was sie braucht. Man muss nur zuhören.
Und? Wie erzählt Ihnen die Landschaft?
Wolf Wir haben uns über die 15 Jahre, seitdem wir gemeinsam leben und arbeiten, ein sehr schönes Ritual angeeignet. Nachdem wir die nötigen Gespräche mit unseren Bauherr:innen geführt und uns vor Ort umgesehen haben, machen wir zu zweit – allein, ohne Bauherr:in – einen langen, ausgedehnten Spaziergang, bei dem wir die Stimmung, den Charakter, die Topografie, die lokalen Besonderheiten regelrecht einsaugen und auch Skizzen und Notizen machen.
Bergmeister Diese Spaziergänge sind für uns das Portal zum architektonischen Konzept. Manchmal wissen wir nach zwei, drei Stunden Fußmarsch bereits, wie das Haus aussehen muss.
Wolf Und meist setzen wir uns gleich am nächsten Tag hin und bauen ein Modell der Umgebung.