Expert:innen verraten: So brandet man eine Immobilie!
Property-Branding ist ein gängiges Mittel aus den USA, um Immobilien eine Identität zu geben und sie auf diese Weise aufzuwerten. Doch wann ist dieser Trend nach Europa übergeschwappt? Was macht einen guten Projektnamen aus? Und wo lauern die Gefahren? Darüber sprechen Wohnbauträger Andreas Holler, Branding-Experte Albert Handler und die Architektur-professorin Anita Aigner.
28 . Juni 2022 - By Wojciech Czaja
LIVINGWie würden Sie Ihre eigene Wohnsituation in wenigen Worten beschreiben?
Albert Handler Wir wohnen seit 20 Jahren in einem Loft, gestaltet von the next ENTERprise, das im Laufe der Zeit zu einem Kunst- und Vintage-Design-Sammelsurium geworden ist. Müsste ich meinem Wohnen einen Titel geben, so würde ich sagen: »Endlich zu Hause!«
Anita Aigner Ich bin in den Neunzigerjahren in eine Mietwohnung gezogen, und auch bei mir hat sich seitdem einiges angesammelt. Es ist eine Mischung, ein bunter Mix aus schlichten Maßmöbeln, gebrauchtem Mobiliar und Mitbringseln von diversen Reisen.
Andreas Holler Ich wohne vorüber-gehend im Haus meiner Großeltern, und das Interessante daran ist: Das ist eigentlich überhaupt nicht mein Wohnstil, viel zu viel Jugendstil, viel zu viele Antiquitäten. Aber je länger ich dort bin, in dieser eigenwilligen Mischung aus Retro und Gemütlichkeit, desto wohler fühle ich mich – eine durchaus interessante Erkenntnis! Ich würde mein Wohnen als »Jugendstil and me« bezeichnen.
Bei Immobilien-Branding denkt man unweigerlich an das Chrysler Building, das Rockefeller Center und das alles überragende Empire State Building. Wann hat die Kultur, Immobilien einen Namen und eine Identität zu geben, denn begonnen?
Aigner Ich weiß gar nicht, ob das damals schon bewusstes Branding war. Diese Büro-gebäude beziehungsweise baulichen Machtsymbole wurden einfach nach dem eigenen Firmen- oder Familiennamen bezeichnet.
Handler Ich denke, das hat nicht erst mit Rockefeller begonnen, sondern geht zurück zu den Habsburgern und auch zu den Römern. Die Obelisken und Triumphbögen waren wahrscheinlich die ersten frühen Beispiele einer Branding-Architektur, weil sie die Aufgabe hatten, im weitesten Sinne Werbung für den eigenen Erfolg zu machen. Architektur wurde hier verwendet, um nationale politische Identität zu stiften.
Holler Für mich kommt ein großer Einfluss des Brandings aus dem angelsächsischen Raum. Ich habe in Boston studiert, und dort habe ich das erste Mal die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden und Lehrenden sich nicht mit einer Adresse im Sinne eines Straßennamens identifiziert haben, sondern meinten: »Ich wohne im Greene House oder im Essex House.« Bei uns hat man in dieser Zeit als Student noch im Studentenheim in der XY-Gasse gewohnt.
Wann ist diese Kultur auf Europa übergeschwappt?
Aigner Da muss man differenzieren. Nicht jede Namensgebung hat werbliche Funktion, es geht nicht immer ums Verkaufen einer Ware. Im Roten Wien, also schon in den 1920er-Jahren, war das Namengeben Teil einer politischen Ehrkultur. Die Gemeindebauten wurden damals nach großen Persönlichkeiten benannt. Auch in den heutigen Gemeindebauten, wie etwa im Barbara-
Prammer-Hof in Wien-Oberlaa, wird diese Ehrkultur fortgesetzt.
Handler Ich denke da nur an den Karl-Marx-Hof. Das ist ein sehr frühes Beispiel für Branding.
Aigner Nicht wirklich! Hier ging es ja nicht darum, Wohnungen zu verkaufen, sondern schlicht und einfach um die Würdigung einer Person. Das Branding im heutigen Sinne, wie wir es im freifinanzierten Wohnungsbau vorfinden, hat bei uns erst später eingesetzt.
Und zwar wann?
Holler Ein genauer Zeitpunkt ist schwer auszumachen, aber ich denke, den Beginn machten ein paar außergewöhnliche Büroimmobilien sowie freifinanzierte, gewerblich entwickelte Wohnbauten am freien Markt irgendwo in den Neunzigern, die zur Unterscheidung von der Konkurrenz einen besonderen Namen bekommen haben.
Handler Das sogenannte Property-Branding, wie wir es heute verstehen, geht auf Richard Pandiscio zurück. Frau Aigner, Sie haben schon die Benennung nach Personen angesprochen, darüber hinaus kann man sich im Namen natürlich auch auf die Adresse beziehen oder aber auf ein geschichtliches Ereignis oder eine lokale Begebenheit oder Eigenschaft, die der Ort aufweist.
Aigner Sehr oft werden einfach symbolisch aufgeladene Fantasienamen verwendet, die keinerlei Bezug zum Ort und seiner Geschichte haben. Gerade im hochpreisigen, freifinanzierten Bereich ist diese Kultur häufig zu finden.
Dann heißen die Projekte Skyfall, Upper West, Flatiron Vienna, The One, The Rarity, The Ambassy oder The Metropolitan.
Holler Mich persönlich reißt’s jedes Mal, wenn ich sehe, dass die Bezeichnungen sich meist auch auf ein anderes, bereits bestehendes Bauwerk in London, Chicago oder New York beziehen – so, als ob der spezifische Ort in Wien nicht schon genug Identitätspotenzial hergeben würde.
Handler Wenn das bereits starke, aufgeladene Marken sind, dann wird das natürlich gerne gemacht. Zu Flatiron oder Upper West haben viele von uns ein ganz klares Bild vor Augen. Und dieses Bild ist eine Stärkung und Bestätigung. Und so, wie wir uns entscheiden, Schuhe von der Marke X, eine Jacke von der Marke Y und ein Auto von der -Marke Z zu kaufen, kann man sich auch beim Kauf einer Immobilie von der Markenwelt inspirieren lassen. Wir wollen das.
Sehr oft aber kauft man eine solche Marke beziehungsweise Immobilie ein, lange bevor sie überhaupt existiert!
Aigner Genau das ist der Punkt! Im Gegensatz zu den Wohnbauten im Roten Wien ist das Branding im heutigen Sinne vor allem ein strategisches Mittel, um etwas zu bewerben, im Wert zu heben und zu verkaufen – noch lange vor Baubeginn. Wir kaufen -Platzhalter und Renderings!
Holler Sie sagen es! Und für mich als Bauträger und Immobilienentwickler ist genau das wichtig, denn mein vordergründiges Ziel ist es, ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen und mich mit meinem Produkt von den Mitbewerber:innen am Markt abzuheben. Wir verkaufen nicht nur Lage und Wohnfläche, wir schaffen selbstverständlich auch so etwas wie Identität, Atmosphäre und eine gewisse Wertewelt. Es geht um Differenzierung!
Herr Holler, Ihre Immobilien heißen Rivus, Kennedy Garden oder Inside XIX. Wie
reagieren Ihre Kund:innen denn auf diese Markenwelten?
Holler Kein Mensch interessiert sich für eine Immobilie nur aufgrund ihrer Markenwelt. Aber natürlich transportiere ich mit einem Namen wie Kennedy Garden in der Nähe der Kennedybrücke die Idee eines grünen Gartens, und natürlich verweise ich mit einem Namen wie Inside XIX auf die Lage im Herzen Döblings. Das Branding schafft im Idealfall die emotionale Verbindung zum Projekt, quasi als Kirsche auf der Torte.
Aigner Die Betonung der Adresse funktioniert wunderbar in einem Bezirk wie Hietzing oder Döbling, weil diese Bezirke bereits mit kulturellem Wert aufgeladen sind und die Käufer:innen direkt ansprechen.
Holler Natürlich. Aber ich glaube, wenn man ein Projekt in der Simmeringer Hauptstraße 1 als Simmering One bezeichnen würde, funktioniert das genauso gut.
Welche Rolle in der Benamsung von Häusern und künftigen Immobilienentwicklungen spielt das Internet?
Aigner Eine riesige! Letztendlich geht es doch darum, dass man sich einen Namen, über den man auf einem Plakat oder in irgendeinem Inserat stolpert, merkt und ihn im Internet leicht wiederfindet.
Handler Der Name ist ein ganz essenzieller Teil des Immobilienmarketings. Aber das ist doch legitim. Tatsächlich ist es so, dass dieses Phänomen im internationalen Vergleich noch relativ wenig ausgebreitet ist. Im englischsprachigen und asiatischen Raum ist diese Kultur viel ausgeprägter.
Aigner Das Property-Branding ist eine Praxis des ästhetischen Kapitalismus, die sich auch im deutschsprachigen Raum immer schneller ausbreitet. Fakt ist: Wir leben heute in einem Kapitalismus, wo immer mehr Geld in die ästhetische Erscheinung investiert wird – und mit Erscheinung meine ich nicht nur das Design, die Form einer Immobilie, sondern auch deren werbliche Inszenierung im analogen und digitalen Bereich.
Ist der Aufwand heute größer als in der Vergangenheit?
Aigner Und wie! Unglaublich, mit welchem Aufwand eine noch nicht existierendeWohnung heute beworben wird. Es gibt Hochglanzbroschüren, extrem aufwendige, oft täuschend echte Renderings und virtuelle Touren, mit denen man auf Websites von Neubauprojekten durch die Wohnungen spazieren kann. Man zahlt hier nicht nur für das Image – wie bei Apple zahlt man auch die Heer-scharen ästhetischer Arbeiter:innen mit.
Handler Wer in der bildgetriebenen Welt nicht gut kuratiert, der verliert. Wir leben in einer Zeit, in der man sich Image und Identität kaufen kann. Das ist ein Fakt.
Herr Handler, Sie sind Branding-Experte. Wasmacht denn Ihrer Meinung nach ein gutes Branding aus?
Handler Der Name muss zu einem Projekt passen und eine Geschichte erzählen, die die Konsument:innen emotional anspricht und in ihnen im Idealfall persönliche Assoziationen weckt. Natürlich ist es auch wichtig, dass der Name dem Projekt, dem Ort und der Bauaufgabe gegenüber angemessen ist und eine gewisse Authentizität vermittelt. Wenn ich mit allzu ambitionierten Begriffen operiere, die womöglich zu hohe Erwartungshaltungen wecken, dann wird das nicht funktionieren. Nicht zuletzt ist es hilfreich, wenn der Name leicht auszusprechen und leicht zu schreiben ist. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Ich denke nur an Marken wie etwa Trześniewski oder Häagen-Dazs. Auch das kann eine Strategie sein.
Die BUWOG errichtet in Sankt Marx gerade einen Wohnturm unter dem Namen Helio -Tower. Wie kam es dazu?
Holler Tatsächlich wollten wir die drei Türme in Sankt Marx ursprünglich nach drei Wiener Persönlichkeiten nennen, die hier in der Gegend aufgewachsen sind: Unser Turm hätte Mahler-Tower heißen sollen, benannt nach Gustav und Alma Mahler, die anderen beiden wären Helmut Qualtinger und Joe Zawinul gewesen. Aber nachdem hier einige der Namen rechtlich geschützt sind, mussten wir uns davon wieder verabschieden.
Und dann wurde es der Helio Tower?
Holler Helio hat einen schönen rhythmischen Klang und weckt aufgrund der Sonneneinstrahlung und der weiten Aussicht schöne, positive Assoziationen. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, einen Namen zu finden, der noch nicht vergeben und auch nicht rechtlich geschützt ist.