© Owen Raggett

Kunst-Restaurants: Ist das noch ein Restaurant, oder schon eine Galerie?

In manchen Gourmettempel ist das gar nicht so einfach zu unterscheiden. Denn Gemälde und Skulpturen vertiefen das kulinarische Gesamtkonzept, für das ein Restaurant steht.

26 . Oktober 2023 - By Karin Cerny

Header Bild: East meets West Im Restaurant »Born« in Singapur schmückt ein kalligrafisches Kunstwerk von Kobe Sek die Wand, an der Decke ist ein stilisierter Papierdrache installiert.

Von der Decke baumelt eine gigantische Papierskulptur, die im Raum zu schweben scheint. Ihre organische Form erinnert vage an aufgewühlte Wolken oder Blätter im Wind. Vielleicht ist es aber auch ein Oktopus, man weiß es nicht so genau. Das Kunstwerk des Niederländers Peter Gentenaar lässt viele Assoziationen zu. Er selbst ließ sich dafür von einem Drachen inspirieren, dem traditionellen chinesischen Symbol für Stärke, Glück und Hoffnung. Für Küchenchef Zor Tan hingegen ist es ein weißer Pilz, der auch auf der Speiskarte seines Restaurants »Born« zu finden ist, das erst vor Kurzem in Singapur eröffnet hat. Untergebracht ist es in einem denkmalgeschützten Backsteingebäude, das im Jahr 1903 als Zulassungsstelle für die damals mehr als 20.000 Rikschas der Stadt errichtet wurde. Küchenchef Tan ist bekannt dafür, chinesische Traditionen mit klassischen französischen Techniken zu kombinieren, und wollte, dass das Lokal widerspiegelt, wofür seine Kochkunst steht. Also hängt zusätzlich zum Papierdrachen auch ein kalligrafisches Gemälde von Kobe Sek im Speisesaal, auf dem das chinesische Schriftzeichen für »Familie« zu sehen ist. 

RÖSTI MIT PICASSO-blick

Um Michelin-Sterne abzuräumen, wird allein die Küchenleistung bewertet, Ambiente und Service werden nur in Zusatzkategorien erwähnt. Das hat natürlich seine Berechtigung – obwohl Lokale doch meist in ihrer Gesamtheit überzeugen: Nichts ist zufällig, alles passt zusammen. Und wo kann man schon Rösti essen und dabei einen echten Picasso bewundern? Eine Aura, wie sie die Zürcher »Kronenhalle« bietet, muss sich erst entwickeln. Das legendäre Restaurant war einst eine Bierhalle, 1924 wurde es von Hulda Zumsteg eröffnet – und schnell zum Treffpunkt vieler Kunstschaffender. James Joyce soll an Tisch 17 Teile seines bahnbrechenden Romans »Ulysses« verfasst haben – heute hängt dort sein Porträt. Die »Kronenhalle« atmet Geschichte. Die Gastgeberin war bekannt dafür, Kunst schaffenden gegen Skizzen oder Werke ihre Rechnungen zu erlassen. Was andere in einem Depot sicher lagern, hängt hier über den Tischen: Arbeiten von Wassily Kandinsky, Marc Chagall, Auguste Rodin, Henri Matisse, Paul Klee oder Robert Rauschenberg. Das Werkverzeichnis der »Kronenhalle« liest sich wie ein Best-of der Moderne des 20. Jahrhunderts. Doch nichts wirkt hier bemüht oder aufgesetzt, die Meisterwerke wollen Teil des Lebens sein. Nichts ist schlimmer, als museal zu erstarren. 

Schöne Lässigkeit Dinieren unter Meisterwerken des 20. Jahrhunderts: Alles
in der »Kronenhalle« in Zürich atmet Geschichte. 

© beigestellt

MIT PFERD ODER GEMÄLDEN

Um die Möglichkeit, in eine längst vergangene Epoche einzutauchen, geht es auch im »Colombe d’ Or«, das in den Hügeln oberhalb von Nizza liegt. 1920 begann es als kleine Café-Bar, entwickelte sich aber bald zum Szenetreff von Kunstschaffenden und Intellektuellen, die rustikale Küche und spannende Gespräche liebten. Gründer Paul Roux war mit Georges Braque, Fernand Léger, Henri Matisse, Pablo Picasso und Joan Miró befreundet. An der Tür hatte er ein Schild angebracht mit der Aufschrift: »Hier beherbergen wir diejenigen, die zu Fuß, zu Pferd oder mit Gemälden kommen.« Eine schöne Lässigkeit prägt das Lokal, Kunst hängt an den Wänden, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Auch der gefeierte italienische Küchenchef Massimo Bottura ist ein Kunst-Junkie. Er wurde bereits als »Jackson Pollock der Haute Cuisine« bezeichnet. In seinen Gerichten inszeniert der Drei-Sterne-Maestro emotionale italienische Erinnerungslandschaften, die wie Werke berühmter Kunstschaffender aussehen. »Wir verwenden Farbe wie Damien Hirst in seinen Spin Paintings«, sagt er selbst. Sein Restaurant »Osteria Francescana« in Modena ist eine moderne Wunderkammer mit Werken von Maurizio Cattelan, Joseph Beuys, Takashi Murakami und Olafur Eliasson. Kunst steht für Bottura für die Poesie, banale Gegenstände neu zu entdecken. Besser kann man nicht über die Kunst des Kochens sprechen, bei der mit einfachen Zutaten unfassbar komplexe Kompositionen kreiert werden. Am überraschendsten ist aber die Trash-Skulptur von Gavin Turk, ein lebensecht bemalter Bronzeabguss eines prall gefüllten Müllsacks, die auch viel vom Humor des Meisterkochs verrät.

Künstler als Stammgäste Ein Keramikbild von Fernand Léger ziert die Terrasse des »La Colombe d’Or« oberhalb von Nizza.

© beigestellt

Moderne Wunderkammer In der »Osteria Francescana« von Meisterkoch Massimo Bottura in Modena wird Kunst zum Erlebnis.

© Paolo Terzi Photography

GURKERL UND REHBURGER

Kunst mit Augenzwinkern ist auch das Markenzeichen des Wiener Spitzenrestaurants »Mraz & Sohn«, das auf Casual Fine Dining setzt. Lukas Mraz hat den Döner Kebab schon als feinen Rehburger inszeniert und die Casali-Schokobanane neu zusammengebaut. Der Sternekoch ist mit vielen heimischen Kunstschaffenden befreundet – von Martin Grandits findet sich eine Leberkäsesemmel-Skulptur im Lokal. »Beim Eingang steht eine Gurke von Erwin Wurm, das war eine unserer ersten Kunst-Anschaffungen«, erzählt Lukas Mraz. Eigentlich habe es aber ganz anders begonnen: »In einem Restaurant haben wir Gemälde von Tobias Hermeling gesehen. Mein Vater war begeistert, aber wir hatten nicht das Geld, um Kunst zu kaufen. Deshalb meinte mein Bruder Manuel, der damals noch ein Teenager war: ›Ich kann das doch nachmalen!‹.« Noch heute hängen im Restaurant Gemälde von Manuel Mraz, der sich nicht nur malerisch weiterentwickelt hat, sondern auch das Service lange mit Charme und Kompetenz geleitet hat, bevor er sich Mitte des Jahres zurückgezogen hat, um sich der Musik zu widmen. Die Liebe zur Kunst liegt also in der Familie – und passt perfekt zum Konzept des Lokals, das Selbstironie in der Inszenierung und Perfektion in der Umsetzung zelebriert. Man ist zeitgemäß naiv – und dabei höchst raffiniert. Lukas hat sogar bei Paa Joe, einem Künstler aus Ghana, der berühmt ist für seine Särge, die wie Turnschuhe oder Cola-Flaschen aussehen, ein Auftragswerk bestellt – im »Mraz & Sohn« steht nun eine geschnitzte Naturweinflasche von ihm. Cheers!

Raffinierte Naivität Im Wiener Sternelokal »Mraz & Sohn« findet man Kunst mit Augenzwinkern – auch von Manuel Mraz wie etwa dieses Gemälde. 

© beigestellt

»Beim Eingang steht eine Gurke von Erwin Wurm, das war eine unserer ersten Kunst-Anschaffungen.« Lukas Mraz Sternekoch aus Wien.

© Sophie Kirchner

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