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Fossile Brennstoffe haben ein Ablaufdatum. Ab 2040 wird der Einsatz von Gas und Öl in der EU verboten sein. Wir haben uns schon jetzt nach Alternativen der Energieproduktion umgesehen und eine Tour de Force zu den innovativsten Leuchtturmprojekten unternommen.

21 . Oktober 2022 - By Wojciech Czaja

24 Kühe, 16 Kälber und zwölf Mutterschweine mit jeder Menge Ferkeln an den Zitzen: Das ist die Erinnerung an den ehemaligen, 1982 von seinem Vater errichteten Stall in Hittisau, Vorarlberg, in dem er sich nach der Schule einst täglich um die Tiere zu kümmern hatte. «Ich habe hier einen Teil meiner Kindheit verbracht», sagt Architekt Georg Bechter. «Doch so sehr ich die Viecherln auch mochte, ich bin in keinster Weise nostalgisch veranlagt. Meine heutige Freude als Planender und Bauender beziehe ich lieber aus der Zukunftsvision.»

Solarer Trick An der Südseite der Denk-werkstätte befindet sich ein zwei-geschossiger Wintergarten, der nicht nur als Pausenraum, sondern auch als thermische Pufferzone dient.

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In den letzten Jahren hat Bechter den Stall bis auf die tragende Holzkonstruktion demontiert und komplett umgebaut – zu einem Hybrid aus Büro, Labor, Schauraum und Lampenmanufaktur, in der er seine eigenen, von ihm entwickelten LED-Kugellämpchen produziert, für die er schon mit diversen Designpreisen ausgezeichnet wurde. Überaus innovativ ist auch das Energiekonzept, denn geheizt wird nachhaltig – mit einer Wärmepumpe, mit grossflächiger Solarthermie an der Fassade sowie mit einer 33 Quadratmeter grossen Photovoltaikanlage am Dach. An der Südseite der sogenannten Denkwerkstätte befindet sich ein zweigeschossiger Wintergarten, der nicht nur ein kleines Pausencafé mit Bar und Gemeinschaftstisch beherbergt, sondern auch als thermische Pufferzone dient.

Sun Rock, Changhua, Taiwan Für den taiwanesischen Energieprovider Taipower entwickelt MVRDV dieses solare Kraftwerk, das rundum mit 4.000 Quadratmetern Photovoltaik verkleidet ist. Der Output beträgt rund eine Million Kilowattstunden pro Jahr. Im Inneren befinden sich Werkstätten und öffentliche Ausstellungsflächen. Geplante Fertigstellung: 2024.mvrdv.com,
www.taipower.com.tw

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Doch die grösste Überraschung liegt an der Nordseite verborgen: Aus der ehemaligen Jauchegrube unter dem Parkplatz wurde ein Eisspeicher mit insgesamt 80 Kubikmetern Wasservolumen. Durch den jahreszeitbedingten Aggregatwechsel zwischen flüssig und eisförmig kann – wie bei Phase Change Materials – ein Vielfaches an Energie gespeichert werden. Quer durch den tonnenschweren Wasser- beziehungsweise Eisblock verlaufen 1.300 Laufmeter Entzugswärmetauscher, mit denen die Denkwerkstätte im Sommer gekühlt und im Winter behaglich nach oben temperiert wird. Entwickelt wurde der Eisspeicher in Zusammenarbeit mit
dem Energieinstitut Vorarlberg und dem Vorarlberger Haustechniker Gerhard Ritter vom technischen Büro Bühel 740.

Smart-Block Geblergasse, Wien Energiewende in der bestehenden gründerzeitlichen Stadt? Es geht! Der sogenannte „Smart-Block in Wien-Hernals ist Resultat eines Forschungsprojekts und versorgt den historischen Altbau mit geothermischer und solarthermischer Energie. Letztes Jahr wurde die innovative Sanierung mit dem österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. zeininger.at, klimaaktiv.at

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«Energie ist zu einem kostbaren Gut geworden», sagt Ritter. «Wenn wir unseren Lebensraum erhalten wollen, werden wir unsere Lebens- und Arbeitsbereiche und den Umgang mit Energie völlig neu denken müssen. Gerade bei so einem radikalen Ansatz wie dem Eisspeicher müssen wir über den Tellerrand blicken. Zum Teil waren wir ­gezwungen, den rechtssicheren Raum zu verlassen. Nur so war die Errichtung des ­Eisspeichers möglich.» Das Risiko hat sich gelohnt: Allein dank dem Eisspeicher konnte der jährliche Energieverbrauch für das Produktionsgebäude um 4.000 Kilowattstunden reduziert werden. Das Projekt wurde mit dem österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2021 ausgezeichnet.

Ortszentrum Stanz, Steiermark Die steirische Gemeinde Stanz denkt ihre Energieversorgung komplett um – mit einem ehrenamtlichen Taxisystem mit E-Cars, mit einem neu errichteten Biomasse-Heizkraftwerk sowie mit der Einführung von Energy-Tokens und einem eigenen E-kWh-Konto für jede:n Bürger:in. Das Projekt wird vom EU-Projekt Ecolise unterstützt. Im Bild: Passivholzwohnhaus im Ortszentrum von Nussmüller Architekten. stanz.at, ecolise.eu, nussmueller.at

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Dass die Zauberformel für nachhaltige Energie unter der Erdoberfläche verborgen liegt, kann auch der Wiener Architekt Johannes Zeininger bestätigen. Der von ihm geplante Smart-Block in Wien-Hernals ist Resultat eines jahrelangen Forschungs­projekts für den wohnfonds_wien sowie für den Klima- und Energiefonds, das sich mit der Frage beschäftigte, wie die gründerzeit­liche Stadt klimafit gemacht werden kann. Unter dem Grundstück befinden sich 18 Bohrungen, die 110 Meter in die Tiefe reichen und den gründerzeitlichen Bau im Winter mit Wärme versorgen. Im Sommer wiederum dient die geothermische Anlage als Erdspeicher, in dem bis zum Einbruch des kommenden Winters die Wärme aus den Solarkollektoren zwischengelagert werden kann.

Dutch Windwheel, Rotterdam Was wäre Holland ohne seine Windräder! Doepel Strijkers Architects planen nun ein völlig neu gedachtes Windrad mit 174 Meter Höhe: Im Gebäudeloch wird ein elektrisches Feld aufgebaut und mit Wasserdampf besprüht. Die positiv aufgeladen Moleküle werden vom Wind verdrängt und hinterlassen im System eine negative Spannung, die direkt ins Netz gespeist werden kann. dutchwindwheel.com, doepelstrijkers.com

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«Drei weitere Grundstückseigentümer überlegen bereits, sich dem Projekt anzuschliessen», erzählt der Architekt. «Unser mittelfristiges Ziel ist ein lokales Energienetz, das sich über den gesamten Häuserblock mit insgesamt 18 Liegenschaften erstreckt.» Einige Haustechnikelemente sind so konzipiert und dimensioniert, dass sie in Zukunft wie ein Lego-System schrittweise erweitert werden können. Zeininger: «Ich sehe dieses Projekt als Best-Practice-Beispiel, wie wir den gründerzeitlichen Baubestand in Wien fürs 21. Jahrhundert fit machen können, denn die Klimawende entscheidet sich in der bestehenden Stadt. Wir müssen dringend umdenken. Mit dem bisherigen Energiediktat von Gas und Öl wird es nicht gehen.»

Denkwerkstätte, Hittisau Gestern Kuh- und Schweinestall, heute Hightech-Fabrik mit innovativem Energiekonzept. Der Strom aus der Photovoltaikanlage am Dach fliesst direkt in die Produktion der LED-Leuchten. Zudem gibt es unter dem Parkplatz einen Eisspeicher, mit dem der Energieverbrauch des Gebäudes um rund 20 Prozent reduziert werden kann. georgbechterlicht.at, bechter.eu, 740.at

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