© Helenio Barbetta

Mailand hat viele Talente vorzuweisen, wenn es um Kunst und Design geht. Ohne Ausnahmegaleristin Nina Yashar wäre die Lifestyle-Metropole jedenfalls an Wissen, Geschmack und Trends um vieles ärmer. LIVING bat die neugierige Kreative zum Gespräch über außergewöhnlichen Wohnstil und ständige Veränderungen.

24 . November 2022 - By Angelika Rosam

Wenn man das Apartment von Nina Yashar in Mailand betritt, fühlt man sich in ein eklektisches Universum gebeamt. Die namhafte Galeristin weiß nur zu gut, wie Farbe funktioniert und wie man sich gekonnt von Kommerz und 08/15 abhebt. Nicht umsonst ist die gebürtige Perserin Meinungsmacherin mit höchstem Anspruch an sich selbst: Immer in Bewegung für Kunst und Design in Mailands tonangebender Galerie Nilufar kombiniert sie Stile und Epochen als beeindruckendes Gesamtkunstwerk – mühelos, intuitiv, ästhetisch. Wir trafen die quirlige Künstlerin zum Interview.

LIVINGDie Farbkombinationen in Ihrer Wohnung deuten auf einen starken Charakter und eine starke Persönlichkeit hin. Wann hat sich der Mut, »anders zu sein«, in Ihrem persönlichen Leben manifestiert?

NINA YASHAR Ich habe mich nie proaktiv dafür entschieden, »anders« zu sein – ich würde fragen: »Anders als was?« Jeder wird mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen geboren, und diese sind meine. Wie alles andere haben sich diese Charaktereigenschaften im Laufe der Zeit entwickelt, zusammen mit meinem Geschmack, meiner Ästhetik, meinem Wissen und meiner Neugierde.

Herrscherin über die Kunst In Pose: Nina Yashar sitzt neben der Tischlampe »Ruspa« von Gae Aulenti aus der Manufaktur Martinelli.

© Helenio Barbetta

Was ist für Sie bei der Gestaltung eines Raums wichtig?

Die gesamte Umgebung. Sie muss wie eine Symphonie aus Farben, Formen, Texturen und Licht wirken. Es ist nicht wichtig, von Anfang an eine genaue Vorstellung zu haben, sondern ein paar Stücke auszuwählen, die wirklich dem eigenen Geschmack entsprechen, und den Rest darum herum aufzubauen. Es gibt eigentlich keine Regeln, aber ich mag es, verschiedene Stile und Jahrhunderte zu mischen und einen Hauch von Exzentrik hinzuzufügen.

Ihre Wohnung befindet sich in ständiger Veränderung. Ist denn der Charme des Lebens die »ständige Veränderung«?

Natürlich! Wie langweilig wäre es sonst. Wir alle sind in ständiger Veränderung, und die Ästhetik, mit der wir uns umgeben, sollte das immer widerspiegeln. Die Farbe Türkis hat es Ihnen, wie wir sehen können, angetan. Verbinden Sie eine besondere Geschichte mit dieser Farbe? Ja, sehr. Die Farbe Türkis erinnert mich an das Wasser meiner Lieblingsbucht in Griechenland, an die Gewässer von Patmos.

Wunderkiste. Das Kunstwerk (l.) stammt von Piero Pizzi Cannella. Im Jahre 2020 wurden von Nilufar Arbeiten bei Audrey Large in Auftrag gegeben – die Vase »Metabowl« ist eine davon. Der Tisch links kommt von Lloyd Wright und Warren McArthur 1927. Bunter Stuhl: Martino Gamper.

© Helenio Barbetta

Es ist nicht schwer, zu erkennen, dass Eklektizismus eine große Rolle bei der Wahl Ihrer Inneneinrichtung spielt. Was fasziniert Sie so daran?

Mit diesem Einrichtungsstil ist man offen für vieles, und man erlaubt sich, verschiedene Dinge zu mögen. Wir sind oft für unsere eigenen Grenzen verantwortlich, dabei sollten wir uns wirklich trauen, uns in andere Bereiche zu wagen.

Dürfen wir raten, was Ihre Lieblingsstücke in Ihrer Wohnung sind?

Besonders schätze die beiden Skulpturen von Nathalie Djurberg und die roten Stühle von Carlo Mollino, die im Esszimmer stehen.

Faible fürs Extreme Ein maßgefertigtes Sofa in Rot. Kunstwerk: fleischfressende Blume als getarnte Soundinstallation der Schwedin Nathalie Djurberg.

© Helenio Barbetta

Wie behalten Sie als Galerist den Finger am Puls der Zeit? Wann sprechen Sie über Trends?

Ich beobachte und höre zu. Ich will so viel wie möglich wissen und sehen, vor allem von den jüngeren Generationen, die die Trends von morgen prägen. Sie sind für mich der Puls der Zeit.

Wie sehen Sie die Zukunft von Kunst und Design? Ist diese Investition eine sichere Karte, oder kann die zunehmende Inflation hier etwas anrichten?

Ich glaube, dass der Bereich, in dem wir arbeiten, Sammlerkunst und Design, kaum an Wert verlieren wird. Die Wertschätzung für solche Ausdrucksformen hat es schon immer gegeben und wird es auch immer geben. Wir alle wollen uns mit wertvollen und schönen Dingen umgeben, und es wird immer jemand da sein, der bereit ist, in die Bewahrung von Geschichte und Kultur zu investieren.

Kunstwerk »Küche« Imposante Kupferleuchte »Artichoke« von Poul Henningsen. Gerne nimmt man hier auch am Esstisch von Giancarlo Montebello Platz. Die »Re-Thonet 14«-Stühle kreierte Andrea Salvetti für Nilufar.

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»Sammlerkunst und Design wird auch in der Zukunft nicht an Wert verlieren. Die Wertschätzung für solche Ausdrucksformen wird erhalten bleiben.« – NINA YASHAR über die derzeitige Inflation

Nilufar ist Ihr Leben. Was inspiriert Sie am meisten bei Ihren Galerieprojekten? Wie hat Nilufar die ersten Schritte unternommen?

Es war mein größter Wunsch, ein Phänomen zu kuratieren, das im lokalen und internationalen Kulturpanorama wirklich verankert werden kann. Design befindet sich an einem einzigartigen Ort zwischen kreativem Ausdruck und Funktionalität, der so eng mit dem menschlichen Körper und dem täglichen Leben verbunden ist. Das hat mich schon immer fasziniert, und wie es in der Lage ist, in einen wirklich künstlerischen Bereich vorzustoßen.

Was genau ist Ninas Rolle bei Nilufar, welche Wechselwirkungen gibt es hier?

Meine Aufgabe ist es, neue Talente zu entdecken, sie kennenzulernen und irgendwie Teil ihrer Reise zu werden.

Kreatives Sammelsurium Die kleinen Pilz-Kunstwerke kommen aus der Feder Carsten Höllers.

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Wie viel Nilufar nehmen Sie mit in ihr Zuhause?

Zweifelsohne beeinflussen mich die Designkreationen aus der Galerie auch bei meinem persönlichen Geschmack, denn es ist die Welt, in der ich lebe. Sie sind eine Vintage-Expertin. Auch Miuccia Prada hört auf Sie und ist eine gute Freundin.

Können Sie sich vorstellen, auch Stücke für die Modeindustrie zu entwerfen?

Die Welt liegt uns zu Füßen – ich habe Nilufar nie Grenzen gesetzt. Ich habe mich zum Beispiel immer sehr für die Kunstwelt interessiert, die immer mehr Teil des Angebots der Galerie ist, und das Gleiche gilt für die Mode. Wir haben schon oft mit Modehäusern zusammengearbeitet – Christian Louboutin und Modes, um nur einige zu nennen –, sodass eine Bekleidungskollektion durchaus denkbar ist.

Dekor-Inspirationen Blumen-Arrangements, die ihren Platz gefunden haben: in Martino Gampers Topf aus der »Off-Cut«-Serie.

© Helenio Barbetta

Haben Sie eine Vorstellung davon, was sich im Design 2023 verändern wird?

Es gibt viele interessante Dinge bei der Entwicklung neuer Materialien und neuer Herstellungsprozesse, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Die Designer werden mutiger und verrückter, Design wird wirklich zu einer künstlerischen Form und wird als solche auch angesehen.

Was sind die nächsten Projekte oder Ausstellungen, auf die Sie 2023 hinweisen möchten?

»Was haben wir nicht gemacht?« ist hier eher immer die Frage. Die Mailänder Designwoche 2022 war großartig, und wir bereiten uns bereits auf die Ausgabe im nächsten Jahr vor. In der Zwischenzeit haben wir eine Zusammenarbeit mit dem Luxus-E-Commerce-Unternehmen Modes begonnen, für das ich eine Auswahl von Stücken aus unserer Kollektion kuratiere, die auf deren Plattform verkauft werden. Wir haben die erste Einzelausstellung der unglaublich talentierten Keramikkünstlerin Sin-Ying Ho hier in Mailand präsentiert, und wir bereiten auch unsere eigene Nilufar-Kollektion mit einer ausgewählten Liste von Designern vor, auf die ich mich freue, sie nächstes Jahr mit Ihnen allen zu teilen.

Gute Nacht! Fächer an der Wand: ein Kunstwerk von Florian Schmidt, der Nachttisch stammt von Martino Gamper.

© Helenio Barbetta

Wie wichtig ist für Sie die Funktion von Einrichtungsgegenständen und Designerstücken? Was müssen sie können, um für Sie wertvoll zu sein?

Das kommt auf das Stück und den Verwendungszweck an. Nicht alle Designerstücke müssen »benutzt« werden, manche sind einfach nur dekorativ, und ihr Wert liegt in dieser Definition: Wie dekorativ sind sie?

Was würden Sie niemals in Ihrer Wohnung aufstellen? Gibt es ein No-Go?

Eine sehr hässliche Türklinke!

Farben dominieren den Raum Das Kunstwerk von Kerstin Bratsch ziert den Dining Room. Die Konsole links ist ein Stück von Gio Ponti. Türkise Vase aus Silikon: Gaetano Pesce.

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