© Mark Seelen for ClassiCon

Design ist immer ein Abbild seiner Entstehungszeit. Doch bestimmte Entwürfe haben über die Jahrzehnte hinweg ihre einzigartige Präsenz in der Designgeschichte behalten und sich zu wahren Ikonen entwickelt. LIVING hat 10 Designklassiker und ihre Designer:innen recherchiert.

26 . Oktober 2023 - By Elisabeth Klokar

Header Bild: »Bell Coffee Table« von Sebastian Herkner

Was heute gemeinhin als Design-Ikone gilt, hob sich bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens von durchschnittlichen Arbeiten ab und markierte den gestalterischen Höhepunkt der jeweiligen Epoche. Heute sind diese Ikonen zumeist Sammlerstücke, werden in Museen ausgestellt und von Fans oft kultisch verehrt. Doch was macht diese Objekte eigentlich so besonders? Ihr kulturhistorischer Wert? Immerhin spiegeln viele Entwürfe die sozialen, kulturellen und politischen Strömungen ihrer Zeit wider. Oder vielleicht ist es ihre Universalität? Designklassiker werden heute meist weltweit geschätzt, ihre Wiedererkennbarkeit ist hoch, ihre Anpassungsfähigkeit ebenso. Wesentlich ist zudem klarerweise der ästhetische Faktor – hier reicht die Bandbreite von minimalistischen Silhouetten bis hin zu völlig aus der Norm fallend. Aber ganz gleich, ob leise und zurückhaltend oder laut und schrill, revolutionär und auf ihre Art einzigartig waren die meisten heutigen Design-Ikonen bereits bei ihrer Einführung. Und gerade diese Einzigartigkeit inspirierte nachhaltig, sodass oftmals ganze Design-Bewegungen von den Stücken geprägt wurden. Sicher ist aber jedenfalls: Es ist auf jeden Fall die Summe verschiedener Elemente, die dazu führt, dass ein Objekt in den Ikonen-Rang aufsteigt: »Designklassiker stehen immer für etwas, sie sind eine Verkörperung von Werten und Vorstellungen oder eines Lebensgefühls«, fasst es Norbert Ruf, Creative Director bei Thonet, zusammen.

Das künstlerische Urheberrecht stammt vom niederländischen Architekten und Designer Mart Stam, der gebürtige Ungar Marcel Breuer modifizierte und entwickelte den Entwurf während seiner Berliner Zeit 1928 weiter. 

© beigestellt

Den »Freischwinger S 32« produziert man bei Thonet seit 1930. Das Ungewöhnliche: Anstelle herkömmlicher Hinterbeine kommt ein geschwungenes, federndes Stahlrohr zum Einsatz.

© beigestellt

Der »Adjustable Table E 1027« ist ein Paradebeispiel für die Ästhetik des Bauhaus-Stils und das Konzept der Möbelanpassung. Seine Höhenverstellbarkeit macht den Beistelltisch zudem universell einsetzbar. Den Wert erkannte auch das MoMA, wo man ihn dauerhaft in der Sammlung findet.

© beigestellt

Der Beistelltisch von Eileen Gray aus einem verchromten, symmetrisch verlaufenden Stahlgestell und einer gläsernen Tischplatte vereint Funktionalität mit klaren Linien und minimalistischer Eleganz. 

© beigestellt

»Carlton« Ettore Sottsass, 1981. Es zeichnet sich durch seine kubistische Form aus, die typisch für den Memphis-Designstil jener Zeit ist. 

© beigestellt

»Carlton« – ein Bücherregal und Raumteiler – vom Italiener Ettore Sottsass zeigt Spaß am Design und spiegelt den Geist der Postmoderne der 1980er wider. Mit seinen versetzten Ebenen erzeugt es eine spielerische Ästhetik und entspricht Sottsass’ avantgardistischer Designphilosophie als markantes Symbol für kreativen Ausdruck und Originalität.

© Getty Images

Der Weg zur Zeitlosigkeit

Fakt ist: Angesichts der Fülle gestalterischer Erfolgsgeschichten muss man schon Mut zur Lücke beweisen, will man Einzigartiges schaffen – man denke etwa an den Vespa-Roller, Symbol für italienisch-urbanen Lifestyle, oder das »Kleine Schwarze« von Coco Chanel, das Farnsworth House von Ludwig Mies van der Rohe – ein Prototyp der modernen Glas- Architektur –, die M-Kamera von Leica, das unkonventionelle Pratone-Sitzmöbel von Gufram oder die Alessi-Saftpresse »Juicy Salif« von Philippe Starck. Alleine das 20. Jahrhundert ist voller außergewöhnlicher, einzigartig revolutionärer Entwürfe, etwa dem »Freischwinger S32« von Marcel Breuer von 1928, mit dem seinerzeit eine völlig neue Stuhl-Typologie entstand. »Rückblickend waren es oft neue Fertigungstechnologien, die neue Formen und/oder Funktionen ermöglichten, wie etwa die Verwendung von Stahlrohr im Möbelbau«, so Ruf. Funktionalität und die Reduktion auf das Wesentliche zeichnen Marcel Breuers Designansatz wie auch die Philosophie der gesamten Bauhaus-Ära aus.    Der beinlose S32 und sein erheblicher Einfluss auf die nachfolgende Möbelgestaltung stehen dafür stellvertretend. Gerrit Rietvelds »Zig-Zag«-Stuhl ist nur eine von vielen Abwandlungen von Breuers Entwurf, Variationen kamen etwa auch von Ludwig Mies van der Rohe, der mit dem »Barcelona-Sessel« von 1929 gleich noch ein weiteres Sitzmöbel für die »Ikonen-Riege« geschaffen hat. Bei dessen X-förmigem Stahlgestell, angelehnt an das klassische Aussehen des Scherenstuhls sowie an den Gusseisenstuhl von Karl-Friedrich Schinkel, fehlen Verbindungen zwischen den Beinen, was zum schwebenden Charakter beiträgt. Mit Lederriemen bespannt und aufwendig knopfgepolstert, verkörpert der Barcelona-Sessel die Kunst der Formvereinfachung als Grundprinzip des modernen Designs perfekt: Klarheit, Funktionalität und materialgerechtes Design.

»Designklassiker sind durch eine besondere Zeitlosigkeit geprägt, die sie auch Jahre nach ihrer Markteinführung aktuell und zeitgemäß
wirken lassen.«

Norbert Ruf Creative Director bei Thonet

»Semi Lamp« Claus Bonderup & Torsten Thorup, 1968. Der bogenförmige, emaillierte Metallschirm setzt sich aus zwei Viertelkreisen zusammen und gibt ein warmes, diffuses Licht ab. Ein Klassiker, der zu anderen Klassikern, etwa von Verner Panton oder Eero Saarinen, passt.

© Mauritius Images

Die Pendelleuchte »Semi Lamp« ist ein Entwurf von Claus Bonderup und Torsten Thorup aus den 1960er-Jahren, quasi als Gegenreaktion auf die weichen, organischen Formen, die damals in Dänemark vorherrschend waren.

© United Archives

Ein ewiger Klassiker ist der »Egg Chair«. Dessen üppiges Erscheinungsbild geht auf einen Entwurf von Arne Jacobsen für Fritz Hansen zurück. Wie ein Bildhauer experimentierte Jacobsen mit Draht und Gips und perfektionierte die Sitzschale. Heute gehört das »Ei« zu den Höhepunkten seiner Karriere.

© Ullstein Bild

»Egg Chair« Arne Jacobsen, 1958. Er ist eine Hommage an das skandinavische Design, das zu jener Zeit noch nicht schlicht sein wollte.

© ullstein - Waldthausen (L)

»Bell Coffee« Sebastian Herkner, 2012. Durch die verwendeten Materialien versteht es der Designer, mit den Gewohnheiten unserer Wahrnehmung zu spielen: Fragiles Glas trägt eine massive Metallplatte und wird zur zeitlosen Wohnskulptur.

© beigestellt

Der vom Deutschen Sebastian Herkner im Jahr 2012 entworfene »Bell Coffee Table« aus mund-geblasenem, getöntem Glas ist ein beeindruckendes Beispiel für zeitgenössisches Design, dass sich sofort die Bezeichnung Klassiker erarbeitet hat. 

© beigestellt

»Vase Aalto« Alvar Aalto, 1936.  Die mundgeblasenen Einzelstücke gibt es in verschiedenen Größen und Farben. Ihre sanfte, wellenförmige Glassilhouette erinnert an fließende Wellen und Uferverläufe und ist damit ein perfektes Beispiel für Aaltos Liebe zu organischer Formgebung.

© beigestellt

Die »Aalto«, auch als »Savoy-Vase« bezeichnet, wurde vom finnischen Designer Alvar Aalto entworfen und stand in völligem Kontrast zu den damals vorherrschenden geradlinigen Maschinenfertigungen. 

© picturedesk.com

Die Natur als Vorbild

Die Schönheit der Natur in den Alltag der Menschen zu integrieren, war hingegen die Vision des finnischen Architekten Alvar Aalto. Eine feine Linienführung gehört zu den wesentlichen Elementen des nordischen Designs, für das der Designer richtungsweisend war. Sein bekanntestes Interior-Objekt, die Vase »Aalto«, zählt heute ebenfalls zu den Ikonen der (skandinavischen) Designgeschichte. Ähnlich verhält es sich mit dem »Tulip Chair« von Eero Saarinen, für den ebenfalls Flora ideengebend war. »Wir haben Stühle mit vier Beinen, mit drei und sogar mit zwei, aber niemand hat einen mit nur einem Bein hergestellt, also machen wir das«, erklärte der Finne Saarinen 1955 seine Vision. Das markante Merkmal des Stuhls: ein einziger, zentraler Stützfuß, was dem Möbel aus heutiger Sicht einen unvergleichlichen Retro-Charme verleiht – genauso wie es dem »Adjustable Table E 1027« von Gestalterin Eileen Gray gelungen ist. Gray zählt zu den wegweisendsten Designerinnen des 20. Jahrhunderts und reiht sich neben Frauen wie Charlotte Perriand, Greta Magnusson Grossman, Florence Knoll, Lella Vignelli und Ray Eames ein. Letztere arbeitete mit ihrem Mann Charles, und gemeinsam schufen sie Klassiker wie den »Eames Lounge Chair«. Die moderne Variante dieses Clubsessels wird heute noch hergestellt. Das alles sind Ikonen des modernen Designs, denen eines gelungen ist: »Sie haben es geschafft, mehr zu sein als Möbel«, so Thonet-Creative-Director Ruf, »sie sind ein Bestandteil unserer Kultur.«

»Leuchte Type 600« Rosemarie & Rico Baltensweiler, 1951/59. Den konischen Reflektor hat man 1959 verändert und durch einen abgewinkelten Rand robuster gemacht. Erhältlich sind beide Versionen. 

© beigestellt

Filigran und stilvoll: Die »Baltensweiler Leuchte Type 600« von Rosemarie und Rico Baltensweiler aus den 1950er-Jahren ist ein funktionales Meisterwerk. Mit der klaren Linienführung bei Sockel, Gegengewicht und Reflektor und der schlanken Silhouette ist sie zeitlose Eleganz pur und fügt sich heute in moderne Räume perfekt ein.

© beigestellt

Bio-Design fürs Zuhause bietet der »Bone Chair«, geschaffen von Joris Laarman. »Unser digitales Zeitalter ermöglicht es, die Natur nicht nur als stilistische Referenz zu nutzen, sondern die zugrunde liegenden Prinzipien tatsächlich zu nutzen, um Formen zu erzeugen, ganz im Sinne eines evolutionären Prozesses.«

© beigestellt

»Bone Chair« Joris Laarmann, 2006. Sein skeletthaftes Gerüst ist aus Polyurethan gefertigt und verbindet Objektkunst und Funktion auf fast schon künstlerische Weise.

© beigestellt

»Tulip Table« Eero Saarinen, 1957. Mit dieser Serie wollte Saarinen Klarheit ins Design bringen und die »verwirrende, unruhige Welt« aufräumen.

© beigestellt

Der »Tulip Table« aus der Pedestal-Kollektion ist ganz klar von Eero Saarinens Streben nach Schlichtheit, Eleganz und Funktionalität geprägt. Im Speziellen störten den Architekten zu viele Möbelbeine, weshalb er fünf Jahre benötigte, bis er die vollendete Form seiner »Saarinen-Tulips« der Öffentlichkeit vorstellen konnte.

© beigestellt

ERSCHIENEN IN

LIVING Nr. 07/2023
Zum Magazin

Für den LIVING Newsletter anmelden

* Mit Stern gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Anrede

Genuss – das ist zentrales Thema der Falstaff-Magazine. Nun stellen wir das perfekte Surrounding dafür in den Mittelpunkt. Das Ambiente beeinflusst unsere Sinneseindrücke – darum präsentiert Falstaff LIVING Wohnkultur und Immobilien für Genießer!

JETZT NEU LIVING 23/07