In der Kleinheit liegt die Feinheit
Städtische Grundstücke in begehrten Lagen werden immer rarer und immer teurer, als Reaktion darauf baut die Immobilienbranche immer kleinere Wohnungen. Viele Architekturbüros und Interior-Designer:innen haben sich darauf spezialisiert, die Mikrowohnungen clever zu möblieren.
26 . Mai 2023 - By Wojciech Czaja
In der Ecke Avenida de los Shyris und Avenida Portugal im Herzen von Quito steht ein 24-stöckiges Hochhaus mit ziemlich verrückter, gepixelter Fassade und großartiger Aussicht auf den Parque La Carolina. Der vor wenigen Monaten fertiggestellte Wohnturm unter dem Titel »Qorner« wurde vom kanadischen Architekten Moshe Safdie für den ecuadorianischen Developer Uribe & Schwarzkopf geplant und hat es in sich, denn er reagiert auf das Phänomen steigender Grundstücksknappheit und explodierender Wohnkosten und folgt somit dem globalen Immobilientrend fortschreitender Wohnflächenreduktion: Ein Großteil der insgesamt 92 Wohneinheiten ist als Mikroapartment ausgeführt – mit gerade einmal 27,5 Quadratmetern Nutzfläche.
Die beiden Architekt:innen Juan Alberto Andrade und María José Váscones haben sich dieser kleinen Wohnungen und der damit verbundenen räumlichen Herausforderungen angenommen und – auf Wunsch der Bewohner:innen und Eigentümer:innen – eine hochwertige, funktionale und ästhetisch ansprechende Möblierung entworfen. Ihr Konzept unter dem Titel »Doméstico« sieht eine homogene Raumskulptur mit flexiblen, klappbaren und ausziehbaren Funktionsmöbeln vor, die je nach Bedarf geöffnet beziehungsweise auch wieder verstaut werden können: Bett, Schrank, Esstisch, Schreibtisch, Kochnische, Garderobe und sogar eine kleine Bar verschwinden auf diese Weise elegant hinter einer ruhigen Oberfläche aus Eichenfurnier.
»Auf so einer kleinen Fläche müssen wir mit dem zur Verfügung stehenden Raum sehr behutsam umgehen«, sagen Andrade und Váscones. »Daher haben wir das Raummöbel und die Wohnungsfunktionen in zwei Bereiche unterteilt: Im unteren, leicht erreichbaren Bereich befinden sich die Möbel und Werkzeuge, die für die ganz alltäglichen Aktivitäten wie etwa Kochen, Essen und Schlafen benötigt werden, im oberen Bereich hingegen haben wir die Bücherregale und den Stauraum untergebracht.« Um die Regale unter dem Plafond zu erreichen, gibt es eine verschiebbare Eisenleiter. Im geparkten Zustand ist sie – immerhin – eine schöne, minimalistische, an der Wand lehnende Raumskulptur. Die schrumpfenden Wohnungen in Quito sind kein Einzelfall. Sie sind ein weltweites Phänomen, das sowohl im temporären als auch im langfristigen Wohnen, sowohl im geförderten als auch im freifinanzierten Bereich, sowohl im Low-Budget-Segment als auch in der gehobenen Liga zu finden ist. »Im sozialen Wohnbau gibt es die sogenannten Smart-Wohnungen bereits seit 2012«, sagt der Wiener Architekt Heinz Lutter. »Seit einigen Jahren werden Kleinstwohnungen immer häufiger nun auch von privaten Entwicklern eingefordert. Damit will man auch im nicht geförderten Bereich eine günstige Alternative zu klassischen, immer teurer werdenden Wohnungen bieten.« Ein solches Wohnhaus befindet sich an der Bezirksgrenze zwischen Favoriten und Simmering. Für einen privaten Wiener Developer plante Lutter, Geschäftsführer des BFA Büros für Architektur, in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro KLK die sogenannten Gudrun Business Apartments mit insgesamt 50 Wohneinheiten, die meisten davon zwischen 35 und 40 Quadratmeter groß. Die Grundrisse sind kompakt geschnitten und verfügen über eine Wohnküche mit Erker und Balkon sowie über ein Minischlafzimmer, das man mit einer Schiebetür abschließen kann.