© Sumitomo Forestry & Nikken Sekkei

Koalition aus Macht und Natur

Die Klimakrise schreitet voran und macht auch vor Politik und Wirtschaft nicht halt. Immer häufiger folgen Regierungszentralen und Headquarter global agierender Konzerne den Prinzipien ökologischer Nachhaltigkeit – und schaffen auf diese Weise neue grüne Machtzentren.

11 . April 2023 - By Wojciech Czaja

Mit 1,5 Millionen Mitarbeiter:innen weltweit und einem Jahresumsatz von weit über 500 Milliarden
US-Dollar zählt Amazon zu den erfolgreichsten Unternehmen auf diesem Planeten. Obwohl die 1994 gegründete Kapitalgesellschaft für ihre Arbeitsbedingungen, ihre kreativen Steuerschlupflöcher und ihr strategisches Aushöhlen des analogen Gewerbehandels in der globalen Dauerkritik steht, befindet sich Amazon seit Jahren auf einem unaufhaltsamen Expansionskurs. Nun soll die Konzernzentrale in Seattle entlastet und um ein Neben-Headquarter in Arlington, Virginia, in der Nähe von Washington, D.C., erweitert werden. Geplant ist ein Stadtcampus unter dem Namen »PenPlace« mit mehreren 22-stöckigen Hochhäusern und einer ­Gesamtfläche von 260.000 Quadratmetern.

»Herzstück von PenPlace«, heißt es bei Amazon, »ist ohne jeden Zweifel die Helix, ein sich hinaufwindender, hinaufschraubender Glasturm, der innen eine Vielzahl an Raumqualitäten und Arbeitsumgebungen für unsere Angestellten aufweist. Und während im Inneren die Menschen im Mittelpunkt stehen, dreht sich außen alles rund um Natur und Klimaschutz.« Auf einer gekurvten Rampe, die bis zur Spitze des Hauses hochführt, soll ein linearer Park mit Gräsern, Stauden, Büschen und unzähligen Bäumen errichtet werden. Die Maßnahme ist keineswegs nur ein grünes Symbol, sondern soll das Mikroklima im Quartier und das Innenraumklima im Gebäude aufwerten – und zudem attraktive Arbeits- und Pausenräume an der frischen Luft bieten.

Erst kürzlich wurde der Wettbewerb für den Neubau des Europäischen  Parlaments in Brüssel präsentiert. Das Siegerprojekt des paneuropäischen  Architekturkollektivs Europarc sieht einen luftig-leichten Stahlbau mit gläsernem Sitzungssaal und öffentlich begehbarem Dachgarten vor.

Erst kürzlich wurde der Wettbewerb für den Neubau des Europäischen Parlaments in Brüssel präsentiert. Das Siegerprojekt des paneuropäischen Architekturkollektivs Europarc sieht einen luftig-leichten Stahlbau mit gläsernem Sitzungssaal und öffentlich begehbarem Dachgarten vor.

© Europarc

»Die meisten Bürostandorte sind von ihren umliegenden Vierteln abgeschlossen und in hermetischen Türmen untergebracht«, sagt Robert Mankin, CEO und Partner im zuständigen Planungsbüro NBBJ mit Sitz in Boston. »Das Projekt ›PenPlace‹ dreht den Spieß um und besteht im Wesentlichen aus einer grünen Landschaft, aus einem 2,5 Hektar großen, öffentlich begehbaren Park und aus zahlreichen Pavillons mit Geschäften und Cafés, in die die Bürogebäude nahtlos hineingewebt sind.« Die natürliche Umgebung, so Mankin, solle das Wohlbefinden der Mitar­beiter:innen steigern und die zwischenmenschliche Kommunikation fördern.

Betrieben wird der neue Amazon-Campus mit 100 Prozent erneuerbarer Energie. Das heißt: Auf fossile Energieträger wird komplett verzichtet, die Temperierung – Heizen im Winter, Kühlen im Sommer – erfolgt stattdessen über Ökostrom aus einer nahe gelegenen Solarfarm. Damit ist der Amazon-Campus der bislang größte Baustein auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung, die sich das Unternehmen bis 2040 eigenständig als Ziel gesetzt hat. Wäre schön, wenn sich der hier gewählte Anstand künftig auch in sozialen, marktwirtschaftlichen und steuerökonomischen Belangen wiederfinden würde.

Die Unilever-Zentrale in Jakarta ist Teil des BSD Green Office Park  Complex, des ersten grünen Büroviertels des Landes. Das Konzept  von Aedas berücksichtigt die indonesische Bautradition und umfasst  innen Plätze, Straßen, Atrien, Fitnesscenter, religiöse Rückzugsbereiche  sowie offene Begegnungsflächen für Gemeinschaft und Kommunikation.

Die Unilever-Zentrale in Jakarta ist Teil des BSD Green Office Park Complex, des ersten grünen Büroviertels des Landes. Das Konzept von Aedas berücksichtigt die indonesische Bautradition und umfasst innen Plätze, Straßen, Atrien, Fitnesscenter, religiöse Rückzugsbereiche sowie offene Begegnungsflächen für Gemeinschaft und Kommunikation.

Foto beigestellt

Die Kehrtwende zum Grün, die der globale Logistikriese hier vorexerziert, ist bei Weitem kein Einzelfall. Viele andere Unternehmen schlagen den gleichen Weg ein – sei es aus Überzeugung, ökologischer Eigenverantwortung und dem Willen, etwas Gutes gegen die fortschreitende Klimakrise zu tun, sei es aus investitionstechnischen Gründen, da immer mehr Banken, Fonds und Kreditinstitute die Finanzierung von nichtgrünen Projekten – Stichwort EU-Taxonomie, um nur ein recht­liches Werkzeug von vielen zu nennen – erschweren oder mit höheren Zinssätzen bestrafen.

Der weltweit agierende Lebensmittelkonzern Unilever hat aus seinem Standort in Jakarta, Indonesien, überhaupt gleich einen Hightech-Dschungel mit innovativen Gebäudetechno­logien und üppiger Dach- und Fassadenbe-
grünung gemacht. Und das japanische Forstunternehmen Sumitomo Forestry bereitet sein 350-jähriges Jubiläum anno 2041 mit einem noch nie da gewesenen Leuchtturmprojekt vor: Im Tokioter Bezirk Marunouchi soll ein 350 Meter hohes Holzhochhaus entstehen, das auf den Namen »W350« hört.

Ein Höhenmeter für jedes bestehende Firmenjahr. Geplante Fertigstellung: 2041. »Holz spielt in der japanischen Architektur seit geraumer Zeit eine unverzichtbare Rolle«, sagt Akira Ichikawa, Präsident der Sumitomo Forestry Co. Ltd. Laut OECD weist Japan – hinter Finnland – den weltweit zweithöchsten Waldanteil auf. 68,5 Prozent der japanischen Landfläche
sind von Wald bedeckt. Zu den in Nippon begehrtesten Hölzern zählen Zedern und Zypressen. »Wir wollen das Holz als zukunfts­fähigen Baustoff vorantreiben. Mit dem Projekt ›W350‹ wollen wir ein Exempel statuieren.«

Die Nase vorn, die Spitze oben: Der sogenannte »PenPlace« in der Nähe von Washington, D.C., soll Amazons Konzernzentrale in Seattle entlasten. Auf 2,5 Hektar Land entsteht ein Campus mit 260.000 Quadratmetern Bürofläche. Highlight ist der 22-stöckige Helix-Tower von NBBJ Architects.

Die Nase vorn, die Spitze oben: Der sogenannte »PenPlace« in der Nähe von Washington, D.C., soll Amazons Konzernzentrale in Seattle entlasten. Auf 2,5 Hektar Land entsteht ein Campus mit 260.000 Quadratmetern Bürofläche. Highlight ist der 22-stöckige Helix-Tower von NBBJ Architects.

© Amazon, Shutterstock

Die grünen Orte der Macht konzentrieren sich längst nicht nur auf die Wirtschaft. Auch die Politik hat bereits erkannt, dass eine nachhaltige Architektur und eine hoffentlich ebenso nachhaltige Landesverwaltung in Wechselwirkung zueinander stehen und einander im besten Fall befruchten. Der britische, kürzlich mit dem renommiertenPritzker-Preis ausgezeichnete Architekt
David Chipperfield und das in Toronto ansässige Büro Zeidler Architecture errichten in den kommenden Jahren eine Erweiterung zum Parlamentsgebäude in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Das Bürogebäude wird aus ökologischen, zertifizierten Baustoffen bestehen und versteht sich in erster Linie als Wohlfühlort für den hier tätigen Senat. ­Herzstück ist ein siebenstöckiges Atrium komplett aus Holz.

Höhepunkt grüner Nachhaltigkeit ist wahrscheinlich das neue EU-Parlaments­gebäude in Brüssel. Aus einem EU-weiten Wettbewerb ging ein paneuropäisches Architekturkollektiv unter dem Namen Europarc hervor – sieben Büros aus sieben Ländern. Erst kürzlich wurde der Entwurf
für den superlativen Neubau vorgestellt: Geplant ist ein ovaler, luftig-leichter Stahlbau mit öffentlichem Atrium, ringsum verglastem Sitzungssaal und öffentlich begehbarem Dachgarten. Die Europarc-Architekt:innen sprechen von einer grünen Agora. Das klingt nach einer guten Koalition aus Macht und Natur.

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