© Scheirl Knebl Lyon

Kunst-Trends 2021: Kunstnaturen suchen Utopien

Lockdown war gestern. Die Kunst will wieder raus: in die Natur, in den öffentlichen Raum, bemüht alle Mittel, sucht Utopien, um die Grenzen, die Geschlechter und die Identitäten zu überwinden. Ein Streifzug zu Themenfeldern und Kunst-Strategien, die uns noch beschäftigen werden.

08 . Februar 2021

Mit Maske sitzen Jakob Lena Knebl ­­­­und Ashley Hans Scheirl vor Eisschollen – türkis und aus Kunststoff. Ein Video aus ­dem Kunsthaus Bregenz, in dem die Künstler*innen Auskunft über ihre Schau »Seasonal Greetings« (bis 14. März) geben. 

Die Szene offeriert dabei einige visuelle Stichworte zu aktuellen Themenfeldern in der Kunst: Natur, Lockdown, Außenwelt, hier als Fake nach Caspar David Friedrichs »Das Eismeer«, das Spiel mit den künstlerischen Medien, das auch Knebl und Scheirl souverän beherrschen. Dazu ein Hinterfragen von Identitäten und Identitätskonstruktionen. 

Neu aufgerüttelt 

Knebl hat das kürzlich im Linzer Lentos bei »Frau 49 Jahre alt« thematisiert, Scheirl hat in Bregenz ein Labor für Versuchsanordnungen um die Geschlechter installiert. Gemeinsam werden sie auf der Kunst-Biennale in Venedig (verschoben auf 2022) den österreichischen Pavillon bespielen. 

Das Nachstellen von bekannten Kunst-werken – siehe »Das Eismeer« – in sozialen Medien war ein Spaß während des ersten Lockdowns. »Aufgerüttelt durch eine apokalyptische Realität muss die Gesellschaft neue Utopien erfinden«, sagen Scheirl und Knebl. 

Dafür jongliert auch Barbara Kapusta ihre vielen Möglichkeiten, um in Videoinstallat-onen, in stark textbezogenen Arbeiten, mit Skulpturen wie den immer wiederkehrenden Händen oder mit Sprechblasen an der Wand »über Utopien von Gemeinschaft, von Körpern und Figuren. Utopien, die gleichzeitig meiner Fiktion als auch unserer Realität entspringen« zu sprechen. Das hat ihr jüngst den Otto-Mauer-Preis 2020 eingebracht.

»Quo vadis Europa?«, fragt es vom Bahnhof der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten. 25 Jahre Österreich in der EU war Anlass, um Aldo Giannotti und Borjana Ventzislavova zu bitten, ihre Perspektiven, Fragen und Hoffnungen an und für Europa mitzuteilen. Sie haben es außerdem noch am Rathaus, am Cinema Paradiso, am Festspielhaus, am Klangturm und am Landtagsschiff mit Leuchtschrift und Bemalungen getan. Im Außenraum wird die Kunst für alle sichtbar – ohne Maske und ohne Quadratmeter-Vorgaben. 

»Wohin?«, darf man auch Amoako Boafo fragen. Derzeit von Wien bis nach New York, wenn etwa das Guggenheim seine Porträts ankauft. 1984 in Ghana geboren, studierte er ab 2014 an der Wiener Akademie. Auch Egon Schiele steht für seine gemalten Porträts Pate. Die »Blackness«, die Suche nach der schwarzen Identität, die Auseinandersetzung mit afrikanischen Gemeinschaften in der Fremde sind sein Thema. Der gefeierte Stürmer einer boomenden figurativen Malerei erobert die Kunstwelt. Er ist dabei nur einer von immer mehr Künstlern aus Afrika oder mit afrikanischen Wurzeln, die gegenüber dem westlichen Kanon zeigen, dass auch die »Restwelt« relevante Kunst kann. 

Instagram im Wald 

Hinaus zog und zieht es auch Christian Eisenberger: Totenköpfe aus Herbstlaub lächeln im Wald, ein Hochsitz wird mit Schießscheiben zugeklebt, Äste formen Männchen im Schnee, Tannenzapfen Schachbrettmuster. Das gab es bis vor Kurzem auch gerahmt oder tapetengroß an den Wänden der Galerie Krinzinger und der Kunsthalle Gießen, vir-tuell und damit Lockdown unabhängig steht es für jeden -unter »Eisenbergerchristian« auf Instagram. 

Wenige Jahre bevor Friedrich sein »Eismeer« malte, brach 1815 der Vulkan Tambora in Indonesien aus. Die Asche verdunkelte den Himmel der Welt, ließ Kälte, Dürre, Hunger folgen und zeigte, wie verletzlich die Erde ist. Natur in der Kunst ist nichts Neues, die bedrohte Umwelt, der Klimawandel und die Folgen brennen aber immer stärker auch unter Künstlernägeln. In »Nach uns die Sintflut« thematisierte dies jüngst das KunstHausWien. 

Breiter ausdifferenziert steht auch in der Jahresausstellung des Dom Museum Wien die Natur dem Menschen gegenüber. »Fragile Schöpfung« thematisiert unser vielgestaltiges Verhältnis zur Umwelt in Skulpturen, Gemälden, Büchern, Zeichnungen, Fotografien und Videoarbeiten. Es spannt einen bezugsreichen Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, der uns für das neue Jahr wohl etwas vor- und mitgibt, wenn Kuratorin Johanna Schwanberg meint: »Viele Menschen haben durch den Ausbruch der Corona-Pandemie erstmals im Leben gespürt, dass die menschliche Existenz fragiler ist, als wir jahrzehntelang dachten – und die Natur bedrohlicher, als wir es uns eingestehen wollten.«

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