© Shutterstock

Sie liegt am Rande Europas und ist doch bestens vernetzt mit der Welt. Islands Hauptstadt Reykjavík ist berühmt für ihre selbstbewusste Kulturszene, die von einer Mischung aus Freigeist, Kollegialität, Internationalität und frischer Luft stets jung gehalten wird.

03 . Juli 2023 - By Maik Novotny

Man kann verstehen, dass die Isländer:innen oft genervt sind, wenn man sie mit den immer gleichen Klischees konfrontiert: Elfen, Mythen, Kobolde, ungezähmte Natur. Denn die Insel am Rande Europas hat mehr zu bieten als Märchengeschichten. Mythen allein können nicht erklären, warum die Isländer:in-nen offenbar künstlerisch veranlagter als die meisten anderen Nationen sind. Ein Viertel von ihnen arbeitet in den Creative Industries, jeder zehnte hat schon ein Buch geschrieben, und Reykjavík bietet für eine Stadt mit 250.000 Ein-wohner:innen eine Fülle von Museen und Galerien. Einer Studie zufolge liegt dies weder an der geografischen Isolation noch an Hexenmagie, sondern an sozialen und kulturellen Faktoren. Denn in Island werden Offenheit und Toleranz großgeschrieben, die Schulen sind liberal und Kinder dürfen ihre Imagination frei entfalten, die Gleichberechtigung ist weit entwickelt und berufstätige Frauen sind die Regel. Das Zusammenleben auf der Insel führt nicht zu Konkurrenz, sondern im Gegenteil zu vielen guten Freundschaften, Nachbarschaften und Unterstützung. Gute Nachrichten also: Die isländische Kreativität lässt sich reproduzieren. Bevor wir aber gleich neue Schulen gründen, genügt es vorerst auch, diese zu genießen, natürlich am besten vor Ort. Auf nach Reykjavík!

Header Bild: Die kristalline Form der Konzerthalle Harpa am Hafen von Reykjavík ist eines der modernen Wahrzeichen der Stadt. Entworfen wurde sie von Henning Larsen Architects und dem dänisch-isländischen Künstler Ólafur Elíasson.

Hort der Kultur Das Sammlungshaus Safnahúsið ist Teil der isländischen Nationalgalerie.

© Culture House

FREITAG

Die isländische Nationalgalerie ist nicht nur die erste Adresse, wenn es um die künstlerische Identität des Landes geht, sondern auch ein Symbol für seine Unabhängigkeit. Gegründet noch unter dänischer Herrschaft, wurde die Institution schließlich 1961 selbstständig isländisch. Heute umfasst die Sammlung, die größte des Landes, 14.000 Werke mit dem Schwerpunkt auf isländischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts und teilt sich auf mehrere Standorte auf. 

ERWEITERTE GRENZEN

Neben dem schneeweißen Haupthaus an der Suðurgata werden Wechselausstellungen und die Dauerausstellung »Millenium« im Sammlungshaus Safnahúsið gezeigt, das seit 2013 zum Museum gehört. Besonders lohnend sind hier die Ausstellungen, die Querverbindungen zu anderen nationalen Schätzen wie jenen aus der Nationalbibliothek oder dem Museum für Naturgeschichte ziehen und so die Grenzen der Kunst erweitern. Der dritte Standort des Museums ist ein ganz besonderer: das Haus des Malers Ásgrímur Jónsson (1876–1958), eines Ur­vaters der isländischen Kunst, der sein Gesamtwerk und sein Haus seiner Heimatnation vermachte. Von hier steigen wir direkt in die Galerienszene ein, die ebenfalls der heimischen Kunst eine Bühne gibt. In einer ehemaligen Glas­fabrik im Stadtzentrum angesiedelt, bietet
die von ­Ingibjörg Jónsdóttir gegründete und geführte Galerie BERG Contemporary eine große Bandbreite von Etablierten und Neu­zugängen, davon die Hälfte aus Island, mit einer besonderen Vorliebe für Video-Art. Selbst Künstlerin, hat Jónsdóttir die besten Verbindungen zur Szene.

Isländische Nationalgalerie
Sigtryggur Bjarni Baldvinsson, bis 27. 8. 2023
listasafn.is

Sammlungshaus (Safnahúsið)
Resistance, bis 2028
listasafn.is

BERG Contemporary
Katrín Elvarsdóttir, bis 8. 7. 2023
bergcontemporary.is

Bescheidene Schatzkiste Ein Kunst-Geheimtipp: die Hafnarborg Collection im Vorort Hafnarfjörður.

(c) Hafnerborg

Kulturlager Das Hafnarhús in einem ehemaligen Lagerhaus ist einer der Standorte des Reykjavík Art Museum.

© Shutterstock

Samstag

Fast ein Déjà-vu: Auch heute besuchen wir eine große Kunstinstitution, die an gleich drei Adressen in Reykjavík gemeldet ist. Das ­Reykjavík Art Museum umfasst den wuchtigen Sichtbetonkomplex Kjarvalsstaðir, das ­Hafnarhús und das Ásmundur ­Sveinsson ­Museum. Ersteres vereint heimische und internationale Kunst, das Hafnarhús in einem ehemaligen ­Lagerhaus in der Altstadt zeigt unter anderem das überbordende Werk des 1932 geborenen Künstlers Guðmundur ­Guðmundsson alias Erró, und das Ásmundarsafn, entworfen vom gleichnamigen Bildhauer, ist mit seiner weißen Kuppel selbst eine begehbare Skulptur. Weitere Werke sind im idyllischen Park verteilt, der unbedingt einen Spaziergang lohnt.

SKULPTUREN AN DER SPITZE

Ebenfalls einem einzelnen Künstler gewidmet ist das Sigurjón Ólafsson Museum, das 1984 von dessen Witwe Birgitta Spur gegründet wurde. Hier lohnt sich allein schon die ­Anfahrt wegen der Lage des Museums an ­einer Landspitze am Meer, aber auch das bildhauerische Werk Ólafssons, das hier mit zeitgenössischen Künstler:innen in wechselnden Ausstellungen in Dialog tritt, ist ein ­Fixpunkt der isländischen Kunstgeschichte. Ein paar Kilometer entlang der Küste südlich von Reykjavík liegt die Kleinstadt ­Hafnarfjörður, die mit einem Kunstkleinod aufwartet, der Hafnarborg Collection. Die ­Basis dieser Sammlung bilden rund 200 Werke von Pionier:innen der isländischen Kunst, ­gestiftet vom Ehepaar Sverrir Magnússon und Ingibjörg Sigurjónsdóttir. Seit der Gründung ist die Kollektion schnell gewachsen, in diesem Sommer feiert man in Hafnarfjörður das 40. Jubiläum – Grund genug, bei einem ­Besuch mitzufeiern.

Reykjavík Art Museum
Kaleidoscope: Icelandic 20th Century Art,
bis August 2023
listasafnreykjavikur.is

Sigurjón ólafsson Museum
The Gift of Children, bis Herbst 2023
lso.is

Hafnarfjörður Centre of
Culture and Fine Arts
On a Sea of Tranquility, bis 3. 9. 2023
hafnarborg.is

Am Rand der Welt An einer Landspitze gelegen ist das Sigurjón Ólafsson Museum dem Werk des einflussreichen Bildhauers gewidmet.

© Shutterstock

Kantige Geometrie Das Gerðarsafn Art Museum, gewidmet der Künstlerin Gerður Helgadóttir.

© beigestellt

Sonntag

Auch heute starten wir staatstragend auf der Suche nach dem individuellen Freigeist. Wir greifen zuerst weit zurück in die ­Geschichte der Besiedlung Islands, der das Nationalmuseum eine große Schau widmet. Das Zeitgenössische hat natürlich auch hier seinen Platz, in wechselnden Ausstellungen heutiger Künstler:innen, wie etwa 2023 des Fotografen Rúnar Gunnarsson aus Reykjavík, der das Leben in der Stadt seit Jahrzehnten in analogen und digitalen Bildern festhält.

HERZ DER GEGENWART

Von hier geht es mitten in die reine Gegenwart. Das Living Art Museum trägt das schlagende Herz schon im Namen, wobei es in Reykjavík jede:r bei seinem umgangssprachlichen Namen Nýló nennt. Nýló wird seit seiner Gründung von Künstler:innen ­geleitet, viele seiner Ausstellungen haben markante Spuren in der Kunstgeschichte Reykjavíks hinterlassen. Neben der Sammlung von über 2.000 Werken steht hier der Diskurs im Vordergrund, in zahlreichen Events kann man hier der sozialen Kompetenz der Isländer:innen beiwohnen, die künstlerische Positionen verhandeln. Das Finale unseres Kunst-Trips feiern wir, wo sonst, am Meer, wo wir das dritte Skulpturenmuseum des Wochenendes besuchen, das Gerðarsafn Art Museum. Dieses ist einer Frau gewidmet, der Bildhauerin Gerður ­Helgadóttir (1928–75), deren Liebe zu klarer Geometrie sich in der Architektur des ­Museums widerspiegelt, die den Rahmen für ein stets spannendes Ausstellungsprogramm bietet. Falls es noch eines Beweises bedurft hatte, dass auf dieser Insel die dottirs ­mindestens so stark sind wie die sons, hier haben wir ihn. Freiheit, Gleichheit, ­Schaffenskraft.

Nationalmuseum
An eternity in a moment, bis 2. 9. 2023
thjodminjasafn.is

Nýló – The Living Art Museum
Dauerausstellung
nylo.is

Gerðarsafn
Thykjo, bis 30.7.2023
gerdarsafn.kopavogur.is

Freche Aliens Ausstellung »Thykjo« im Gerðarsafn Art Museum.

© beigestellt

ERSCHIENEN IN

LIVING Nr. 04/2023
Zum Magazin

Für den LIVING Newsletter anmelden

* Mit Stern gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Anrede

Genuss – das ist zentrales Thema der Falstaff-Magazine. Nun stellen wir das perfekte Surrounding dafür in den Mittelpunkt. Das Ambiente beeinflusst unsere Sinneseindrücke – darum präsentiert Falstaff LIVING Wohnkultur und Immobilien für Genießer!

JETZT NEU LIVING 23/07