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LIVING Salongespräch: Abstellraum, Schrankzimmer oder Wunderkammer?

Seit wann verstauen wir Dinge? Worauf ist bei der Planung und Einrichtung von Stauraum besonders zu achten? Und welche Rolle spielen Truhen, Schränke und begehbare Kammern in der europäischen Wohn­kultur? Ein Gespräch mit Wiener Architektin Claudia Cavallar, der Bauträger und Glorit-Geschäfts­führer Lukas Sattlegger sowie Silvia Berghofer, die das Tischlereiunter­nehmen Seliger – bespoke furnishing leitet.

12 . Oktober 2023 - By Wojciech Czaja

LiVING Im Durchschnitt, heißt es, besitzt jeder Mitteleuropäer an die 10.000 Gegenstände. Trifft das auch auf Sie zu? 

Silvia Berghofer Ich gebe zu, ich umgebe mich gerne mit schönen Dingen. Außerdem gibt es ein paar Hobbys wie etwa Skifahren. Daher würde ich sagen: 10.000 Gegenstände, das wird schon hinkommen. Vielleicht sind’s auch ein bisschen mehr. 

Lukas Sattlegger Meine Frau macht sich immer über mich lustig, weil ich mehr Stauraum brauche als sie. Kleidung, elektronische Geräte, Sportsachen, alles Mögliche …

Claudia Cavallar Ich kaufe wahrscheinlich weniger ein, ich finde nicht so leicht etwas, was ich wirklich haben will – außer Schuhe und Bücher.

Und was sieht man, wenn man die Tür in Ihren Abstellraum öffnet: Chaos oder Ordnungsprinzip? 

Berghofer Ich habe, wie man sich unschwer vorstellen kann, viele Einbaukästen, und in denen herrscht eine wunderbare, übersichtliche Ordnung. Das ist meinem Job geschuldet. 

Cavallar Ich habe wenig Stauraum. Allein dadurch ist schon eine gewisse Ordnung vonnöten. 

Sattlegger Diesmal kann ich das ein wenig relativieren: Ordnung im Schrankraum und in der Speis, Chaos im Keller. 

Ich würde mit Ihnen gerne einen Blick in die Geschichte werfen. Wie sieht denn die Evolution des Verwahrens und Verstauens aus? Was weiß man aus mündlichen und schriftlichen Überlieferungen? 

Cavallar Ich denke, um etwas zu verstauen, muss man es erst einmal besitzen und pflegen, und dies wiederum hängt mit einer gewissen Sesshaftigkeit zusammen – wobei man sich das nicht wie das heutige Verwahren vorstellen darf. Hier sprechen wir vor allem von Werkzeugen für die Jagd und Essenszubereitung sowie von warmen, beschützenden Textilien. 

Was waren denn die ersten Staumöbel? 

Cavallar Zu den ersten Aufbewahrungsmöbeln im weitesten Sinne zählen Flechtwerke, also beispielsweise Körbe, Taschen aus Tierhäuten und keramische Amphoren. Später kam dann die Holztruhe hinzu, aus dieser entwickelte sich im Laufe der Zeit schließlich der Schrank. 

Wann beginnt das Sammeln und Besitzen im heutigen Sinne? Seit wann gibt es den Haushalt mit Hab und Gut? 

Cavallar Wir wissen aus der Literatur, dass die einfachsten Haushaltswaren wie etwa Textilien früher sehr kostbar waren, weswegen sie auch – Stichwort Aussteuer – von Generation zu Generation weitergegeben wurden. 

Berghofer Zu dieser Zeit – also rund um die Erfindung der Eisenbahn, rund um die Zunahme der Mobilität – sind auch die Schrankkoffer entstanden. Die großen Möbel hatten die Aufgabe, so viel Hab und Gut wie möglich auf die Reise mitzunehmen, um dort eine möglichst vertraute Wohnumgebung und eine möglichst funktionierende Infrastruktur zu schaffen. 

Cavallar Ja, zu dieser Zeit ist viel passiert! Spätestens mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist die Konsumgesellschaft im heutigen Sinne entstanden. Man hat nun nicht mehr nur selber gemacht, machen lassen und geerbt. Breite Schichten konnten von nun an kaufen, besitzen und sich die Dinge aktiv aneignen. 

Sattlegger In der Architektur wiederum deckt sich das mit dem Begriff des Biedermeier. Es wurde häuslich und gemütlich, und wer es sich leisten konnte, hat begonnen, auf seinen Reisen Dinge mitzunehmen und zu sammeln. Von nun an gab es Regale, Vitrinen und zum Teil verbaute Nischen zum Aufbewahren von Textilien und Geschirr. 

Vitrinen, um darin das Schöne und Kostbare auszustellen – ein aussterbendes Möbel?

Berghofer Eine Zeit lang sind die Vitrinen tatsächlich aus den Möbelkatalogen und auch aus dem Portfolio der Tischlereien verschwunden, aber wie so alles im Leben erlebt auch dieses Kapitel gerade eine Renaissance! Vitrinen sind wieder im Kommen. Das merken wir auch bei unseren Bestellungen. 

Cavallar Vitrinen und Wunderkammern gibt es seit der Spätrenaissance, als man begonnen hat, Seltenheiten und Kostbarkeiten auszustellen und zu präsentieren. 

Herr Sattlegger, bis jetzt haben wir vor allem über die Möblierung gesprochen. Inwiefern schlägt sich das Verstauen auch im Planen und Bauen nieder? 

Sattlegger Im Biedermeier entstanden auch die ersten Abstellkammern, in denen man neben eingekochten Lebensmitteln auch Textilien, Geschirr und diverse Haushaltswaren verstauen konnte. Ansonsten reicht ein Blick auf historische Grundrisse, die man auch heute noch auf jeder Baupolizei vorfindet und mit denen man es in der Sanierung immer wieder zu tun hat. In der Gründerzeit waren Abstellkammern – vor allem in sehr geräumigen, großbürgerlichen Wohnungen – bereits state of the art. 

Das Unternehmen Glorit gibt es seit über
50 Jahren. Welchen Stellenwert nimmt das Verstauen bei Ihnen ein? 

Sattlegger Ja, es gibt uns seit 1972! Auch in den Siebziger- und Achtzigerjahren hat sich Glorit sehr bemüht, die Grundrisse praktikabel und mit vielen Schranknischen und Stauraummöglichkeiten zu planen, aber natürlich war der Stellenwert damals ein anderer als heute. Doch eine Konstante in all den fünf Jahrzehnten gibt es – und zwar den Keller. 

Inwiefern? 

Sattlegger Der Keller ist eine wichtige Flächenressource, mit der es möglich ist, die Wohnfläche eines Einfamilien- oder Reihenhauses um mehr als 60 Quadratmeter zu vergrößern. Manche nutzen den Keller als Hobbyraum, andere bringen hier – mit ­entsprechender Belichtung in Form von Lichthöfen oder großen Lichtschächten versehen – ein Gästezimmer unter, vor allem aber dient der Keller natürlich als wertvoller Stauraum. 

Cavallar Ich frage mich gerade, ob der Keller als Lagerplatz nicht ein sehr mitteleuropäisches Phänomen ist. In den USA hat man dazu eher die Garage. In vielen Teilen der Erde ist das unterirdische Bauen, nur um etwas zu lagern, einfach zu teuer. 

Wie ist die Nachfrage nach Kellern heute? 

Sattlegger Nach wie vor sehr hoch. Für viele Leute ist der Keller das Zünglein an der Waage, das ausschlaggebende Kriterium, wenn es darum geht, sich zwischen Eigentumswohnung und Einfamilienhaus zu entscheiden. Mit Corona ist die Nachfrage nach zusätzlichen Räumen und Staumöglichkeiten – und somit auch nach Kellerräumlichkeiten – nochmal massiv angestiegen. Die Menschen waren zu Hause und haben begonnen, statt in den Konsum nun in die Wohnung, in langfristigere Konsumgüter und ins eigene Hobby zu investieren. 

Berghofer Das deckt sich auch mit meiner Beobachtung. Die Handwerksbetriebe und Einrichter haben von der Corona-Zeit massiv profitiert. 

Das hat sich bei Ihnen auch im Umsatz niedergeschlagen? 

Berghofer Unsere Auftragsbücher waren voll. Die Menschen haben begonnen, sich mit ihrer eigenen Wohnsituation auseinanderzusetzen und Projekte in der Wohnung anzugehen, die schon lange angestanden sind. Viele dieser Projekte haben mit neuen Möbeln, neuer Ordnung oder einfach einem Rundum-Tapetenwechsel zu tun. 

In vielen Wohnungen werden die Fensterflächen immer größer, klassische Stellwände hingegen sind fast verschwunden. 

Berghofer Eine wichtige Prämisse beim Wohnen! Aber je größer die Fensterflächen, desto schwieriger ist die Möblierung der Wohnungen. Es passiert immer wieder, dass Kunden und Kundinnen zu Wohnungen mit großen Fenster- und Terrassenflächen greifen, mit Glasflächen über die gesamte Fassade, und dann kommen sie zu uns und sagen: Sie können nirgends Stauraum unterbringen. 

Was tun Sie? Was schlagen Sie vor? 

Berghofer Wir finden für alles eine maßgeschneiderte Lösung. Aber mit Standard-Möbeln aus dem Möbelhaus stehen Sie manchmal schon an. Leider haben sich die Grundrisse in den letzten Jahren diesbezüglich massiv verändert. Die Zimmer werden immer kleiner, die Vorzimmer verschwinden, und oft findet man hinter der Tür oder neben dem Fenster nicht einmal mehr eine 60 Zentimeter tiefe Schranknische. 

Sattlegger Immer heller, immer luftiger, aber bitte auch Stauraum! Wünsche und Vorstellungen, die leider nicht immer kompatibel sind! Es geht darum, die richtige Balance zwischen einem offenen Wohngefühl und ausreichend Stauraummöglichkeiten zu finden – und das ist wirklich eine Kunst. 

Cavallar Gründerzeitliche Grundrisse, zumindest die bürgerlichen, sind weniger definiert und daher flexibler nutzbar, sie vertragen auch größere Möbelstücke – eben auch Schränke. In kleinen Räumen hingegen­ wirken solche Möbel beengend. 

Berghofer Ich finde, eine elegante Möglichkeit ist, die Schränke raumhoch so zu verbauen, und zwar wirklich bis unter die Decke, dass sie nicht als Schrank in Erscheinung treten, sondern wie eine Wand wirken. 

Damit sind wir schon bei einem kritischen Thema. Bedingt durch die gestiegenen Wohn- und Grundstückskosten gibt es in Österreich immer mehr Smart-Wohnungen – und damit immer weniger Raum zum Wohnen und zum Leben. Wie ist das Problem zu lösen? 

Sattlegger Wir bemühen uns, in fast jeder Wohnung einen Abstellraum einzurichten und dort auch die Waschmaschine unterzubringen. Es braucht einfach ein gewisses Maß an Größe und visueller Großzügigkeit. Und die fehlt in vielen Smart-Wohnungen leider komplett. 

Cavallar Eine Möglichkeit, einen Raum größer wirken zu lassen, besteht darin, den Horizont abzusenken. Einen Raum erfasst man durch die Raumkanten, und sobald ich die Kante zur Decke nur wahrnehmen kann, indem ich den Kopf in den Nacken lege, wirkt der Raum klein und beengend. Abgesehen davon, dass was und wie gebaut wird nicht zuletzt auch eine wichtige politische Frage ist, die nicht durch architektonische Eingriffe lösbar ist. 

Sattlegger Das mit dem Blick zur Decke wusste ich nicht. Wo würden Sie das Mindestmaß ansetzen? 

Cavallar Der italienische Architekt Gio Ponti hat einmal geschrieben, dass es möglich ist, kleine Räume zu bauen, wenn es als Ausgleich dazu auch große Räume gibt. Wenn ich mich richtig erinnere, liegt der Mindestabstand seiner Meinung nach bei acht Metern. Irgendwohin muss der Mensch ins Narrenkastl schauen können! 

Frau Berghofer, was ist der verrückteste Schrankraum, den Sie je gebaut haben? 

Berghofer Ach, da gibt es viele! Für manche Kunden und Kundinnen ist der Schrankraum eine Art Tresor, in dem die Kleider, Taschen, Hüte, Uhren und Krawatten wie 

Schätze in Vitrinen aufbewahrt und mit Licht inszeniert werden. Ich persönlich liebe ja solche Projekte! Ich liebe es, Kund:innen maßgeschneidert zu verwöhnen. Das ist eine schöne Challenge. 

Gibt es bestimmte Baustoffe und Technologien, die aktuell im Trend liegen

Berghofer Ich persönlich arbeite gerne mit einem gewissen Materialmix aus Holz, Stahl und Keramik für eine interessante Haptik. Und mit Stoff und unterschiedlichen Textilien für die Gemütlichkeit.

Cavallar Ob das im Trend liegt, weiß ich nicht. Schränke sind durch ihre Größe ein Mittelding zwischen Möbel und Raum, ich tendiere dazu, sie in Nischen zu platzieren oder Nischen auszubilden, eben um das Volumen nicht in Erscheinung treten zu lassen. Ich habe aber auch schon Garderobenschränke gemacht, die eher wie Geschäftsauslagen wirken und ihr Innenleben herzeigen.

Zum Abschluss: Welchen Ratschlag können Sie den Leser:innen auf den Weg mitgeben? 

Sattlegger Überlegen Sie sich bitte genau, welchen Raumbedarf Sie haben! Viele schätzen das falsch ein und investieren dann – statt in eine etwas größere Wohnung oder ein Haus – in einen Storage-Raum am Stadtrand. Das tut mir persönlich doppelt weh, denn erstens ist das keine komfortable Lösung, und zweitens läppert sich auch hier die Miete. 

Cavallar Immer wieder ausmisten und sich von alten Dingen trennen! Besitz belastet. Willhaben ist dein Freund! 

Von welchem Wunderschränkchen träumen Sie? 

Sattlegger Unendlich viel Stauraum, den man nicht sieht, und trotzdem findet man alles auf Anhieb. 

Cavallar Ich hätte gerne einen großen kollektiven Wunderschrank mit vielen, schönen Schuhen und Büchern. Eine Leihbibliothek für alles sozusagen.

Berghofer In jedem Haushalt gibt es irgendwo diesen einen Stuhl, auf dem bereits einmal getragene Wäsche landet, die nicht mehr sauber, aber auch noch nicht Schmutzwäsche ist. Ich würde gerne ein Wundermöbel entwickeln, das diese Aufgabe auf elegante, unsichtbare Weise übernimmt.

Acht Meter Luftlinie, bitte!  Claudia Cavallar beschäftigt sich mit Sanierung und Interior-Gestaltung. Gerade in kleinen Wohnungen, sagt die Architektin, müsse der Stauraum so konzipiert sein, dass irgendwo noch eine weite Blickachse bestehen bleibt. 

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Der Keller als Kriterium In der Corona-Pandemie, sagt Lukas Sattlegger von Glorit, sei die Nachfrage nach Wohntypologien mit ausreichend Platz für Hobbyräume, Gästezimmer und Abstellflächen massiv angestiegen – somit auch die Nachfrage nach Kellern.
 

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Der Schrankraum als Tresor Silvia Berghofer ist im elterlichen Tischlerei-Betrieb aufgewachsen und hat eine Vorliebe für ausgefallene Projekte. Sie liebt es, ihre Kund:innen zu verwöhnen und mit besonderen Details zu überraschen. 

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Mit einem Faible für Stauraum Gekommen, um über die Geschichte und Gegenwart des Verräumens zu sprechen: v. l. n. r. Silvia Berghofer, CEO von Seliger – bespoke furnishing, Claudia Cavallar, ihres Zeichens Architektin und Interior-Gestalterin, Lukas Sattlegger, CEO des Premiumbauträgers Glorit.

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