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Kreative beschreiten auf der Suche nach neuen nachhaltigen Materialien oft sehr ungewöhnliche Pfade. Zwischen Seegras und Elektroschrott entdecken sie dabei aber aufregende Werkstoffe mit Zukunftspotenzial. Ein kleiner Streifzug durch die Welt der Wiederverwertung.

18 . April 2023 - By Manfred Gram

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Design respektive die Köpfe, die hinter den Entwürfen stehen, eine Schlüsselrolle besetzen, wenn es darum geht, das Verhältnis von Mensch, Umwelt und letztlich auch Wirtschaft neu zu gestalten. Herausforde-rungen wie Klimawandel, Artensterben oder Ressourcenknappheit verlangen nämlich nach innovativen Lösungen, und zwar schon relativ dringlich.

Die Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy soll hier Beiträge leisten, und dabei ist Circular Design ein zentraler Faktor. Der traditionelle lineare Produktlebenszyklus mit einem Anfang und definiertem Ende hat ausgedient und wird gerade entsorgt. Die große Kiste Nachhaltigkeit ist nämlich gekommen, um zu bleiben, und zudem sickert allmählich die Erkenntnis, dass es dabei um mehr als nur Verpackungen aus recycelten Materialien und das Vermeiden von Plastikmüll geht. Expert:innen für Nachhaltigkeit mit Diskurshoheit interessieren sich verstärkt für Gestaltungsprozesse im Design, Designer:innen wiederum denken Nachhaltigkeit mit, wenn sie ans Gestalten gehen. Sie setzen sich mit globaler Wegwerfkultur auseinander und ertüfteln dabei nicht selten neue, innovative Werkstoffe.

Schöner Schrott

Wie so etwas aussieht, zeigt der in London ansässige Designer Nir Meiri. Seine »Mycelium Lamps« etwa haben zwar (relativ) klassisch Basis und Ständer aus Metall, der Lampenschirm allerdings hat es in sich. Um den zu produzieren, werden Altpapier und Pilzsporen in eine Form gegeben, und nach gut zwei Wochen hat der Pilz das Papier -zersetzt und füllt die Form aus. Danach wird der Pilz ausgetrocknet, er soll ja nicht weiterwachsen, und in seine endgültige Form gepresst. Das Resultat sind ungewöhnliche wie formschöne Lampen mit einer tollen Öko-bilanz inklusive Lösungsansatz für die Zukunft: »Pilze sind wirklich wundersame Organismen mit hohem ungenutztem Potenzial. Sie könnten erhebliche Auswirkungen darauf haben, unseren Planeten von den Bergen und Inseln synthetischer Abfälle zu befreien«, so der Designer. Entstanden sind die Pilzlampen übrigens in einer Kooperation mit dem Start-up BIOHM, das an nachhaltigen Baumaterialien forscht.

Ähnliches macht auch das niederländische Start-up BlueBlocks und wird dafür im Meer fündig. Aus braunem Seegras fabriziert das Unternehmen die Faserplatte »SeaWood«. Die Platten gelten zurzeit als eines der spannendsten (Zukunfts-)Materialien. Sie sind natürlich, frei von Chemie, kompostierbar und sowohl aus Baumaterial als auch für Interior-Design-Produkte oder akustische Wandpaneele einsetzbar.   

Man kann es aber auch anorganischer angehen. Wie das norwegische Architekturbüro Snøhetta, das gemeinsam mit dem belgischen Designstudio Studio Plastique und dem -italienischen Unternehmen Fornace Brioni die Fliesenkollektion »Forite« entwickelt hat. Der Clou dabei: Man hat eine Methode gefunden, die Glaskomponenten alter Backöfen und Mikrowellen zu recyclen, und so einer oft übersehenen Ressource neues und vor allem stylishes Leben eingehaucht. Aus -E-Schrott wird ein angesagtes Designprodukt – keine schlechte Leistung oder, wie es aus dem Büro Snøhetta heißt: »Die Zusammenarbeit hält aktuellen Herausforderungen ehrgeizige, pragmatische und skalierbare Lösungen entgegen.«

Ein Ansatz, dem auch die britische Designerin Lulu Harrison und das Architekturstudio Bureau de Change nachgehen. Und zwar mit den Glasfliesen »Thames Glass«. Die werden vorwiegend aus Quagga-Muscheln, die in der Themse immer wieder zu Problemen führen, und einer Kombination aus Sand aus Holzasche gemacht. »Glas ist ja bereits ein nachhaltiges Material und unendlich oft -recycelbar. ›Thames Glass‹ ist eine noch nachhaltigere Alternative, weil es aus lokalen Reststoffen gemacht ist«, erklärt das Architekturbüro. Zudem kommt das Bioglas zusätzlich gut an, da seine Struktur alte -britische Schornsteinmuster zitiert. Demnächst soll es als Fassade für Pubs direkt an der Themse herhalten. So bleibt alles im Kreislauf und im (beziehungsweise am) Fluss.

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