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Es ist nicht nur einzigartiges Kulturerbe, sondern ein eigener Design-Kosmos, in dem Tradition und Moderne verschmelzen: das Kaffeehaus, ein Ort, wo die Geschichte lebt und G’schichtln erzählt werden. In Monte-Carlo wird nun eines der bekanntesten Kaffeehäuser Europas nach umfassendem Relaunch wiedereröffnet, in Wien fanden derartige Revivals bereits öfter statt.

02 . November 2023 - By Susanna Pikhart

Header-Bild: »Café Drechsler«, Wien-Mariahilf Hundert Jahre nach seiner Eröffnung wurde das Kaffeehaus an der Wienzeile 2018 von der Ramasouri Group einem Makeover unterzogen. Die klassischen Thonet-Stühle und Marmortischchen sowie der Drechsler-Schriftzug an der Fassade blieben erhalten.

Sie sind faszinierende Schauplätze des urbanen Lebens, im edel-schicken Monte-Carlo ebenso wie im kreativ-bunten Wien. Kaffeehäuser gelten als Offenbarungen einer extravaganten Melange aus Tradition und Moderne und sind zugleich unbestechliche Zeugen des gesellschaftlichen Wandels. Ob mitten im Fürstentum Monaco, auf dem Place du Casino, wo derzeit das berühmte »Café de Paris« ein gewagtes Makeover erfährt, oder an den besten Adressen der österreichischen Donaumetropole, wo es heute sagenhafte 830 Kaffeehäuser gibt, nicht mitgezählt die zahlreichen Café-Bars und Kaffeekonditoreien. Rund 150 davon sind klassische Kaffeehäuser mit Holz- oder Steinboden, simplen Stühlen und ehrwürdigen Bänken. Ein für die meisten Menschen unentbehrlicher Teil der Alltagskultur – und seit zwölf Jahren sogar immaterielles Weltkuturerbe, UNESCO sei Dank. Als eine Art Transit-Ort zwischen Privat und Öffentlich, Freizeit und Beruf, zwischen Kommunikation, Kontemplation und der Gelegenheit zur analogen und digitalen Begegnung bietet das Kaffeehaus in jedem Fall mehr Potenziale für die städtische Kultur als nur Konsum oder Nostalgie. »Kaffeehäuser sind wie Taschen der Öffentlichkeit, in denen Raum und Zeit konsumiert werden, aber nur der Kaffee taucht auf der Rechnung auf«, erklärte der österreichische Architekt und Designer Gregor Eichinger das Prinzip Kaffeehaus anlässlich seines »Großen Wiener Kaffeehaus-Experiments«. Auch wenn diese aufsehenerregende Ausstellung im MAK Design Space bereits vor zwölf Jahren stattgefunden hat, die Feststellung Eichingers hat zeitlose Gültigkeit. Schließlich gehört der Besuch im Kaffeehaus seit Jahrhunderten schon zu einem einzigartigen Lebensgefühl, das sich vor allem in Wien perfekt erleben lässt. Mehrere Stunden bei nur einer Tasse Melange oder Einspänner zu sitzen und Zeitung zu lesen, ist hier ein Genuss der besonderen Art. Das haben schon Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Gustav Klimt, Oskar Werner, Andy Warhol oder Friedensreich Hundertwasser so gemacht. Und zahlreiche weitere Berühmtheiten vor und nach ihnen. Sie alle verbrachten unzählige Stunden in einem Wiener Kaffeehaus – vermutlich an einem der Marmortische, auf einem Thonet-Stuhl oder in einer samtigen Loge lümmelnd, das Interior im Stil des Historismus im Blick, während ein »Herr Ober« neben Kaffee und Mehlspeise auch eine großzügige Portion des typisch grimmigen Wiener Charmes serviert.

»Café de Paris«, Monte-Carlo, Monaco Seit 1868 gilt das Kaffeehaus als Wahrzeichen der Stadt. Nach 155 Jahren Savoir-vivre wird das Café nun renoviert und erweitert. Der Relaunch verspricht eine zukunftsweisende Architektur mit Riesen-Dachterrasse und Glaskonstruktionen, wobei die Struktur des Gebäudes und der Geist der Belle Époque erhalten bleiben sollen.

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Gesamtkunstwerke der Zeit

Die meisten großen Wiener Kaffeehäuser wurden zwischen 1850 und 1900 gebaut und sind entsprechend prunkvoll ausgefallen. Das erste Kaffeehaus ist gar schon 1684 urkundlich erwähnt. Seither sind fast 340 Jahre vergangen. Eine große Zeitspanne, ein kultureller Wandel, der auch an der Institution Kaffeehaus nicht spurlos vorübergegangen ist. Und so wurde das eine oder andere traditionsreiche Etablissement einem (wiederholten) Makeover unterzogen, sowohl hinsichtlich Design- als auch Kulinarik-Konzept. Einer der renommierten Kandidaten, den es als Nächstes trifft, ist das »Café Prückel« an der Ecke Stubenring und Karl-Lueger-Platz, welches – vom Design der 1950er-Jahre inspiriert – Anfang 2024 den Besitzer wechseln und folglich eine softe Umgestaltung erfahren wird. Das konkrete Konzept will die neue Betreibergesellschaft unter der Federführung von Daniel Jelitzka (JP Immobilien) Ende des Jahres bekannt geben. Derweil verrät er nur so viel: »Das Prückel bleibt das Prückel. Es ist ein Stück Kulturerbe. Wir übernehmen mit Freude die schöne Aufgabe, das Oeuvre zu bewahren und die kulturelle wie gastronomische Qualität zu sichern.« Die Inneneinrichtung des denkmalgeschützten Kaffeehauses soll nahezu unberührt bleiben, nur die Infrastruktur will man zeitgemäßer gestalten. Derartige Veränderungen von Liebgewonnenem stoßen nicht immer auf Zustimmung. Behutsam umgesetzt, überzeugen sie am Ende meist dennoch. Hier einige Beispiele für eine gelungene Mischung aus Melange und Relaunch, im Sinne von Offenheit für Neues und Respekt vor der Tradition …

»Café Museum«, Wien-Innere Stadt 1899 gegründet, erfuhr das Kaffeehaus in den letzten 20 Jahren mehrere Wandel. Am Ende siegten wieder die ursprünglichen roten Sitzlogen, die für Wohnzimmerambiente sorgen.  

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Kunstvolles Revival

Das »Café Museum«, ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne, existiert bereits seit 1899, ursprünglich von Adolf Loos als Antwort auf den damals vorherrschenden Bombast eingerichtet. Betont puristisch und schlicht konzipiert blieb es bis heute. Die 72 Jahre lang für das »Café Museum« typischen, von Josef Zotti installierten roten Sitzlogen, die eine Wohnzimmeratmosphäre schaffen sollten, wurden 2003 von einer neuen Betreibergesellschaft aus dem Kaffeehaus entfernt und durch Repliken der ursprünglichen Loos-Einrichtung ersetzt. Das Stammpublikum blieb fortan aus, 2009 wurde das Kaffeehaus geschlossen. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten ließ die Familie Querfeld das Café 2010 wieder in seiner ursprünglichen Pracht aufleben. Architekt Hans-Peter Schwarz setzte auf eine Inneneinrichtung nach den Plänen von Zotti, den Querfelds gelang es sogar, einzelne Teile der Originalmöbel zurückzukaufen und sie stilsicher zu ergänzen. Vor Kurzem verwandelte sich das Café – in Kooperation mit der Wiener Galerie Ernst Hilger – gar in eine »Kunstgalerie bei freiem Eintritt«.

»Café Westend«, Wien-Neubau Nach einem Besitzerwechsel im Sommer 2022 öffnete das Traditionscafé wieder – samt Makeover und neuem Kulinarik-Konzept, um auch junge Gäste anzulocken. 

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Aufgemöbelte Legende

Mit einer mehr als 120-jährigen Geschichte ist auch das »Westend« an der Mariahilfer Straße nahe dem Westbahnhof eines der traditionsreichsten Kaffeehäuser Wiens. Doch im Frühjahr des Vorjahres stand das Café vor seinem Ende. Hohe Fixkosten, gestiegene Energiepreise und dazu die Inflation – zu viel für den damaligen Besitzer Johann Diglas, der selbst das Traditionscafé erst 2018 übernommen und »sanft renoviert« hatte. Nach einem Besitzerwechsel 2022 öffnete das »Westend« wieder – samt Makeover und neuem Konzept, um auch junge Gäste anzulocken. Über 700.000 Euro hat Yasha Afdasta in die Umbauarbeiten investiert. Manche der Veränderungen im Café sind subtil ausgefallen, andere Neuheiten fielen Stammgästen sofort ins Auge, so etwa die größere Bar, an der nun am Abend auch Cocktails gemixt werden.

Glanzvolles Erwachen

Dass Traditionen mächtig, aber zerbrechlich sind, zeigt die Historie des »Café Bellaria«, des ältesten noch immer betriebenen Kaffeehauses Wiens. Eröffnet 1870 in einem Gründerzeithaus nahe der Hofburg, wurde dem Café nach einem Jahr Stillstand just in der Pandemiezeit – 2021 – neues Leben eingehaucht. Die Gastronomen David Figar und Rubin Okotie haben es »nicht als Museum, sondern als modernes Lebensgefühl« wiedereröffnet. »Um Traditionen zu bewahren, müssen wir sie immer neu beleben«, sagen sie. Die Räumlichkeiten geben sich dank Architekturbüro KLK hell, schlicht und modern. Der Boden glänzt im edlen Grau, die Bar aus Lavastein bildet einen optischen Kontrast zu den samt-goldenen Sitzbänken und Thonet-Stühlen, während das honorige Originalgewölbe von einem grazilen Lichtsystem erleuchtet wird. Nach wie vor werden hier Kaffee und Torten serviert, aufgepeppt mit anspruchsvoller Küche für den guten Geschmack.

»Café Bellaria«, Wien-Innere Stadt Tradition, modern interpretiert: Dem ältesten noch immer betriebenen Kaffeehaus Wiens wurde just in der Covid-Pandemie 2021 neues Leben eingehaucht. 

© David Schreyer

Tradition trifft Moderne

Nicht weit entfernt, an der pulsierenden Wienzeile, liegt ebenfalls ein Stück Altwiener Kaffeehauskultur, die vor fünf Jahren erst einen innovativen Touch erhielt. Lange Zeit war hier das »Café Drechsler« – anno 1918 begründet und für sein Frühstück-bis-Mitternacht-Konzept bekannt – ein Treffpunkt für Nachtschwärmer, Marktstandler und Frühaufsteher. 100 Jahre später, 2018, bekam es einen neuen Besitzer und mutierte im Zuge einer Verjüngungskur zum »modernen Wiener Traditionscafé«, so Gabriel Alaev von der Ramasouri Group. Die schönen Kaffeehausmöbel sowie alte Plaketten und Poster wurden mit modernen Elementen aufgepeppt. Erhalten blieb der Drechsler-Schriftzug an der Außenfassade, während innen auffällige Vintage-Bubble-Leuchten den Retro-Charakter des Lokals betonen. Ein Eyecatcher ist die neue, kunstvoll bunte Wandcollage, Mondän und puristisch hingegen zeigt sich die Bar aus dunkelgrauem Marmorblock. Gastronomisch angelehnt an das kulinarische All-Day-Long-Prinzip der alten Tage ist der eingeführte Breakfast-Club mit einer vielseitigen Frühstückskarte. 

Neue Identität

Was an der Wienzeile gut funktionierte, wurde in der Josefstadt heuer wiederholt. Nach dem Motto »Aus Alt mach Treu« haben die Betreiber des Drechsler das altehrwürdige »Café Maria Treu« als »Treu am Platzl« wiederbelebt. Der Garten wurde durch Pflanzen und buntes Mobiliar aufgewertet, der Anspruch, ein klassisches Kaffeehaus zu sein, jedoch nicht mehr verfolgt. Initiator Christoph Presser: »Trotzdem wollen wir die Geschichte dieses historischen Lokals nicht überschreiben, sondern in Szene setzen.« Es gibt Mehlspeisen und Tageszeitungen, der Kaffee bleibt ein Genuss-Herzstück. Und auch die Inneneinrichtung wurde großteils behalten. So bleibt man der Institution Kaffeehaus am Ende doch treu im Treu.

»Treu am Platzl«, Wien-Josefstadt 2023 wurde aus dem »Café Maria Treu« das »Treu am Platzl«. Das historisch gewachsene Mobiliar wurde großteils erhalten, das kulinarische Konzept jedoch aufgepeppt.

© David Schreyer

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