Saudi Arabien: Endlich Innovation!

Wer traut sich schon, Industrie 4.0 und Kreislaufwirtschaft im ganz großen Stil zusammenzuführen? Fabriken für die Zukunft neu zu denken und auch zu bauen, um Ideen schneller vom Labor auf den Markt zu bringen? In Oxagon, einem Teil von NEOM, soll dafür die Infrastruktur geschaffen werden. Ganze Wirtschaftszweige sollen hier völlig neu erfunden werden: Energie, nachhaltige Nahrungsmittel, autonome Mobilität, moderne Bauwirtschaft, Gesundheit und Pharma, Wasseraufbereitung, Digitales. Auch außerhalb dieser Stadt mit dem geplant größten und modernsten Logistik-terminal der Welt werden neue Wege beschritten. Die Produktionsanlagen des Media Village sind vom Allerfeinsten, sie heben das Niveau für Fernseh- und Filmproduktionen auf ein neues Level – und bieten sich als Homebase für die fraglos beeindruckende Kulisse am Roten Meer an. Extreme E, die weltweite Elektro-Offroad-Rennserie und eigentlich die logische Zukunft des Motorrennsports, wird hier ebenso sehr breit gefördert, während andere immer noch den Verbrennungsmotoren nachheulen. Die Disruption betrifft einfach alle Bereiche, selbst die Kulinarik wird neu gedacht, wenn etwa mit den beiden durchaus glaubwürdigen Köchen Norbert Niederkofler und Paolo Ferretti (die gemeinsam ein ethisches Projekt namens Care’s betreiben) eine Partnerschaft geschlossen wurde. Das Ziel ist, eine einzig-artige kulinarische Identität von NEOM zu entwickeln, bei der die Lebensmittelversorgung vom Planeten bis zum Teller verantwortungsvoll behandelt wird. Die Neuerfindung des Tourismus könnte auch globale Player mitbeeinflussen, die Marriott-Gruppe hat bereits aufgezeigt und will mit ihren »Luxury Collection«- und »Autograph Collection«-Hotels auf die Luxusinsel Sindalah, im Mai gab auch Four Seasons sein geplantes Engagement auf der Insel bekannt. Richtig spannend werden aber die Pläne von Collective Retreats, die bereits in den USA die Gastfreundschaft unter freiem Himmel zelebrieren und dies auch in der Wüstenlandschaft machen wollen. Ein »zukunftsorientiertes Gastgewerbe-Ökosystem« soll es jedenfalls werden. Würden wir von solchen Ambitionen aus den USA, aus Spanien oder Tschechien hören, würden alle jubeln. Kämen sie aus China – wir würden es nicht weiter beachten. Kündigt es Saudi-Arabien an, schimpfen wir. Kritik ist natürlich gerechtfertigt, wenn es um Menschenrechte, um die fragwürdige Rolle der Architekturbüros und um die Verantwortung bei der Nachhaltigkeit und der Klimakata­strophe geht. Peter Engert, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft, sieht NEOM kritisch, meint aber auch: »Wir brauchen in der Transformation auch Feldversuche und Risikokapital.« Es gäbe viele Probleme und deren Lösungen müssten in echt getestet werden, etwa vertikale ­Farmen im richtig großen Stil oder Wasserlösungen in der Wüste. Wenn das Königshaus hierfür den Boden aufbereite, dann sei das begrüßenswert. »Uns fehlt allerdings die Einladung an die Öffentlichkeit und die Welt, mitzu­machen. Wenn das nicht passiert, bleibt bloß eine reine Plattform für architektonische Schweinereien.«

Eine einzige Hypothese

Am Ende der großen Ankündigungen bleibt letztlich immer die Frage, wie viel bei diesen Partnerschaften für wen übrig bleibt – die westliche Gier wurde schon mit viel Know-how-Abfluss nach China beglichen. Nachhaltig gelernt haben wir dabei wenig, aber das liegt nicht an den bösen anderen, das liegt an uns.