Stadtflucht: Ein Virus als stärkster Treiber
Die Corona-Pandemie hat den internationalen Immobilienmarkt in seinen Grundfesten erschüttert. Allein in New York haben mehr als 400.000 Menschen die Großstadt verlassen – und wohnen nun in Suburbs und ländlichen Regionen. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Stadtflucht sind gewaltig.
19 . Oktober 2020 - By Wojciech Czaja
Eine Woche vor dem Lockdown hat er einen gebrauchten Mercedes GLC 300 mit Anhängerkupplung gekauft, einen U-Haul-Cargo-Trailer gemietet und sein ganzes Hab und Gut, private Dinge wie auch Arbeitsutensilien, bis zum letzten Kubikzentimeter hineingestopft. »Ich lebte bereits ein paar Jahre in San Francisco, tolle Lage, hoch dotierter Job, und hatte eine Fernbeziehung mit meiner Freundin Anna, die zum damaligen Zeitpunkt noch in Washington, D.C., wohnte«, sagt Phil Salesses. »Doch mit der Verschlimmerung der Covid-Situation war klar, dass ich dem Gefängnis Großstadt entgehen muss. Und ja, der Blick nach China und Europa zeigte uns, dass uns in der Tat schlimme, dramatische Monate bevorstehen würden.«
Eine Woche lang war er unterwegs: Highway 80 nach Osten, durch Salt Lake City, Omaha, Des Moines, Chicago, Cleveland und Pittsburgh, bis er nach 2817 Meilen, mehr als 4500 Straßenkilometern, die US-amerikanische Hauptstadt erreichte. Anna stieg mit ein paar Kisten und Koffern ins Auto, gemeinsam machten sie es sich in einem Kuhdorf namens Newburg, Maryland, eine gute Autostunde südlich von Washington, D.C., in einem gemieteten Bauernhof gemütlich. »Genau so, wie man sich’s vorstellt. Mit knarrenden Holzböden, einem kleinen Gemüsegarten, den wir angelegt haben, und einer wirklich schwachen Internet-Verbindung, denn am Land sind Highspeed-Kabel und Glasfasernetze noch Lichtjahre entfernt.« Die Geschichte des 35-jährigen Hightech-Entwicklers und Produktmanagers in der Fintech-Branche ist kein Einzelfall.
In etlichen dicht besiedelten Städten wie etwa San Francisco, Chicago und vor allem New York, die zu den beliebtesten und attraktivsten Lebens- und Arbeitsorten in den USA zählen, sinken die Bevölkerungszahlen dramatisch – und mit ihnen die Immobilienpreise für Miete und Kauf. Laut dem New Yorker Real-Estate-Unternehmen Douglas Elliman ist die Anzahl von Immobilien-Transaktionen schlagartig um mehr als die Hälfte zurückgegangen, im Bereich von Apartments sogar um drei Viertel (Stand Hochsommer) – und das bei einem durchschnittlichen Preiseinbruch von 17 bis 20 Prozent.