© Oskar Da Riz

Das sonnige Südtirol glänzt nicht nur kulinarisch, es gilt heute als Baukultur-Musterland. Eine solche Dichte an architektonischer Qualität findet sich sonst bestenfalls noch in der Schweiz – und es wird immer noch besser. Und das hat vielerlei Gründe.

23 . November 2022 - By Maik Novotny

Wenn man beim Überqueren des Brennerpasses den mediter­ranen Süden als GPS-Ziel eingespeist hat, mag man das, was sich rechts und links im Etsch- und Eisacktal auffächert, nur unscharf im Rückspiegel sehen. Doch wenn man genauer hinschaut, entpuppt sich der Übergang von Tirol nach Südtirol als ein regelrechter ästhetischer ­Kulturschock.

SCHÖNER QUANTENSPRUNG

Muss man im Nordtiroler Matrei noch wild Zusammengewürfeltes zwischen schwefel­farbenem Vollwärmeschutz und billigem Rustikalkitsch ertragen, wird es hinter der italienischen Grenze sofort und unübersehbar um einen Quantensprung schöner. Die Häuser sind besser verputzt, stehen nicht wahllos herum, und selbst kleine Details wie Bushaltestellen sind liebevolle Designpreziosen. Fragt man Architekt:innen und sonstige mit Baukultur engagierte Menschen nach Best-Practice-Beispielen, wird Südtirol regelmäßig als Musterland angepriesen. Warum?Das ist eine lange Geschichte. Da wäre zum einen der Innovationsschub im Weinbau, als eine neue Generation nach dem Glykol­skandal-Schock auf Qualität setzte. Mit solchem Erfolg, dass sie sich von ebenso jungen Architekt:innen neue exquisite Weingüter bauen ließen, mal spektakuläre Höhlenkathedralen wie etwa Manincor in Kaltern oder Zimmermann-Meisterwerk wie in Nals.

»Hotel Pacherhof« Wie ein archaisches Grabmal scheint dieser kleine Turm in Neustift-Vahrn bei Brixen. Gekleidet in Bronze, beherbergt er den neuen Weinkeller des »Hotels Pacherhof«, in gewohnter Präzision und Sinnlichkeit zu einer Raumskulptur geformt von den lokalen Architekturgrößen Gerd und Michaela Bergmeisterwolf, von denen auch die »Villa Mayr« im selben Ort stammt. bergmeisterwolf.it

© Gustav Willeit

KULTURELLE SCHNITTSTELLE

Da wären zum anderen Protagonisten wie die Architekt:innen Walter Angonese in Kaltern, Markus Scherer in Meran oder Gerd und Michaela Bergmeisterwolf in Brixen, die in ihrem Umfeld mit Nachdruck auf Qualität forcieren und selbst mit besten Beispielen vorangehen, ebenso wie der Landesbeirat für Baukultur und Landschaft, der 2005 ins Leben gerufen wurde. Da wäre ein reichhaltiger kultureller Humus an der Schnittstelle von Nord und Süd, von alpinen und italienischen Traditionen. Und nicht zuletzt ganz handfest der Vorteil der regionalen Autonomie, der den Süd­tiroler:innen einen größeren Anteil Steuer­einnahmen belässt als anderen italienischen Provinzen.

»Servicegebäude Kreuzbergpass« Wie ernst es die Südtiroler mit der Baukultur meinen, sieht man daran, dass selbst simple Infrastrukturbauten aussehen können wie kleine Kirchen. Das Infogebäude am Kreuzbergpass im UNESCO-Welterbegebiet Dolomiten wurde von Pedevilla Architects mit ikonischem Satteldach versehen, leicht erkennbar und doch unaufdringlich, gekleidet in weißen Beton aus Dolomitgestein. pedevilla.info

© Gustav Willeit

So auffällig ist der Qualitätsschub der letzten Jahre, da sowohl das deutsche Magazin »Baumeister« 2022 den Phänomen Südtirol ein ganzes Heft widmete wie das italienische »Casabella« in diesem Herbst der Stadt Brixen/Bressanone. Diese wird derzeit zur Pilgerstätte zeitgenössischer Architektur mit neuen Bauten von Bergmeisterwolf wie der »Villa Mayr« oder dem cool-weißen »Hotel Pupp« mitten in der Altstadt oder der bis ins Detail prachtvollen Stadtbibliothek des Trios Carlana Mezzalira Pentimalli, die 2021 ­eröffnet wurde.

»Schwarzensteinhütte« Schutz und Ausguck, von Stifter + Bachmann Architekten kombiniert in der Vertikalen auf 3026 Metern Seehöhe zu einer Art rustikalem Raumschiff, das soeben auf der Felszinne gelandet ist. Rötliches Holz außen und helles Fichtenholz innen bringen den Wanderern wohlige Wärme in die kalten Höhenlagen. stifter-bachmann.com

© Oliver Jaist Fotografie

WAHR, GUT UND SCHÖN

In Bozen mag derzeit mitten im Zentrum die gigantische Baugrube des umstrittenen und überdimensionierten WaltherParks der Signa Holding gähnen, doch abseits davon finden sich auch hier das Wahre, Gute und Schöne, etwa das filigrane Stahlfachwerk des Markas-Headquarters von ATP Architekten, das wie ein Diamant neben der Talstation der Seilbahn glitzert. »Eingebettet in eine der schönsten Landschaften Europas herrscht ein junger, frischer Unternehmergeist in Südtirol, das auch über die wirtschaftliche Basis für diese architektonischen Möglichkeiten verfügt«, sagt Paul Ohnmacht, Head of ­Design von ATP Architekten Ingenieure in Innsbruck.

»Seehotel Ambach« Leicht geschwungen und in weiß platzierte Othmar Barth 1973 dieses Hotel neben den Kalterer See. Das zur modernen Ikone gewordene Haus wurde von Architekt Walter Angonese im Inneren feinfühlig neu möbliert; auf der Wiese am Ufer kam in Respektabstand vor dem Altbau ein neues Badehaus dazu. Badefreude trifft Baukultur. angonesewalter.it

© Helmuth Rier

Nicht zu vergessen neben einem gesunden Biotop florierender Klein- und Mittelunternehmen mit exzellenter handwerklicher ­Qualität ist natürlich der Wirtschaftsfaktor Tourismus. Ob das Gastronomie-Kleinod »Decantei« in Brixen (Pedevilla Architects), Luxusapartments wie das »Antonianum« in Meran (DMAA Delugan Meissl), kleine Berghütten oder das von Walter Angonese feinfühlig sanierte und erweiterte »Seehotel Ambach« aus den 1970er-Jahren: Auch hier setzen die Bauherren nicht auf schnell vermarktbare Oberflächlichkeit, sondern auf dauerhafte Schönheit. In diesem Panorama, bei mildem Klima und bestem lokalen Wein, darf sich der Gast aus dem Norden vom ­Kulturschock erholen.

»Antonianum« Luxuswohnen mit Rundum-Service, mitten in den Weinbergen des Etschtals. Vom gebürtigen Meraner Roman Delugan (DMAA Delugan Meissl Architects, Wien) entworfen, lösen sich die drei Bauten in einem schwarzen Stabwerk von Pergolen und Balkonen in der Natur auf, die die Architektur mit Südtiroler Fruchtbarkeit üppig beranken darf. dmaa.at

© Oskar Da Riz

Erschienen im Falstaff LIVING Residences 02/2022

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