Tradition trifft auf Pioniergeist
Neuengland gilt als Wiege der USA. Die Farbenpracht des Indian Summers und die abwechslungsreiche Landschaft mit Wäldern und Küsten zieht nicht nur Tourist:innen an. Seit Jahrhunderten trifft sich hier auch die US-Elite – nicht nur zur Sommerfrische. Ein kurzes Regionenporträt.
14 . September 2022 - By Manfred Gram
»Neuengland ist mehr als eine geografische Einheit, es ist ein Geisteszustand«, bemerkte einmal der amerikanische Journalist Michael Walsh. Wie er auf diese treffenden Worte kam? Dazu reicht ein kleiner Blick auf das Big Picture dieser Region im Nordosten der USA.
Eingebettet zwischen dem Atlantik und den grünen Bergen, angrenzend an die Weltmetropole New York im Süden und die kanadische Grenze im Norden, drängeln sich hier im Nordosten der USA gleich sechs Bundesstaaten auf relativ kleiner Fläche. Diese sechs Bundesstaaten, Connecticut, Maine, Massachusetts, NewHampshire, Rhode Island und Vermont, gelten als so etwas wie die Wiege der Vereinigten Staaten und der modernen Demokratie. Hier landeten die Pilgerväter, hier wurde für Amerikas Unabhängigkeit von England gekämpft, hier finden sich Elite-Unis wie Harvard, Yale, die Brown University oder das MIT. Die industrielle Revolution, die im Laufe des 19. Jahrhunderts die USA zur Industrienation machte, fand hier ihren Ausgang. Und nicht zuletzt emanzipierten sich Künstler:innen, Literat:innen und Architekt:innen in Neuengland erstmals von europäischen Vorbildern und legten so den Grundstein für eine eigenständige amerikanische Kultur. Neuengland war also treibende Kraft einer jungen Nation, die sich erst finden musste. Nur so viel: Als der Süden der USA noch zu Mexiko gehörte, hatte das 1636 gegründete Harvard bereits 200 Jahre auf dem Buckel. Und als jenseits der Appalachen, im Wilden Westen, die Revolver knallten und es juristisch eher archaisch zuging, war Neuengland ein stabiles, demokratisches Zentrum und stand für Wohlstand. Dafür sorgte – so die Historiker:innen-Meinung – ein Mix aus britisch-puritanischen und irisch-katholischen Einwander:innen auf der einen, progressiver Wissenschaftskultur und klassischem Liberalismus auf der anderen Seite.