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Immer mehr Wohnbauträger erkennen die Not monoton geplanter Quartiere und entwickeln daher hybride Projekte, die Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur auf einem Grund­-stück vereinen. Hier ein Überblick über die spannendsten Wohn-Arbeits-Kombinationen.

27 . Oktober 2022 - By Wojciech Czaja

Zwei riesige dreigeschoßige Löcher klaffen in der Fassade, eines rot und eines hellblau, aus der Ferne ertönen Menschenstimmen, Reden, Lachen, Widerhall, und je näher man kommt, desto wohler scheint sich der Klang auszubreiten, ganz so, als würden die hier Wohnenden den Resonanzkörper des umliegenden Hauses in Schwingung versetzen. Kein Wunder, handelt es sich doch beim sogenannten Quartiershaus im neuen Sonnwendviertel um Wiens erste »Music Box«. Das ungewöhnliche Gebäude dient nicht nur dem Wohnen, sondern umfasst auch diverse Wohn- und Arbeitsräume für musikaffine Leute.

»Im Gegensatz zu einem klassischen Bauträgerwettbewerb wurde dieses Projekt in einem mehrstufigen dialogischen Verfahren entwickelt«, erklärt Architekt Heribert Wolfmayr, Partner im Wiener Architekturbüro heri & salli, die Genese der musikalischen Wohn-kiste. »Wir haben uns damals gemeinsam angeschaut, was Wien auszeichnet und woran es in dieser Stadt mangelt. Und es hat sich herausgestellt, dass ausgerechnet diese weltbekannte Musikstadt in sämtlichen Bezirken über zu wenig professionell betriebene und hochwertig ausgestattete Musikproberäume verfügt. Vielen Musiker:innen fehlt die nötige Infrastruktur, und daher müssen sie sich in den Kellern ihrer Wohnhäuser oft notdürftig eine kleine Kammer einrichten. Dieses Defizit wollten wir beheben.«

Die HausWirtschaft Geplant sind nicht nur 50 Wohneinheiten, sondern auch jede Menge Gewerbe: Auf einer Fläche von insgesamt 3.500 Quadratmetern sollen hier bald Tonstudio, eine Gesundheitspraxis, diverse Kreativateliers und Co-Working-Spaces und sogar eine Tischlerei einziehen. Das Projekt von Bauträger EGW, einszueins architekten und realitylab knüpft damit an die Idee der durchmischten gründerzeitlichen Stadt an. Geplante Fertigstellung: Herbst 2023. diehauswirtschaft.at, einszueins.at, egw.at, realitylab.at

© Die Hauswirtschaft

Das Resultat ist eine zehngeschoßige Box mit Concierge-Dienst und 161 Serviced Apartments in unterschiedlichen Größen und Ausstattungskategorien zwischen 25 und 54 Quadratmetern. Alle Wohneinheiten sind teil- bis voll möbliert, in die meisten Apartments kann man mit Koffer einziehen und von der ersten Minute an wohnen. Zu den Extraleistungen zählen Sauna, Dampf-bad und regelmäßige Apartmentreinigung. Die großen Resonanzlöcher, die die Archi­tekt:innen als Stadtloggia bezeichnen, sowie die großen Roof Gardens am Dach sind ­öffentlich zugänglich.

© JAMJAM

Doch die eigentliche Besonderheit liegt in der Tiefe verborgen: Im Untergeschoß sind diverse Tanz- und Veranstaltungsräume untergebracht. Zudem befinden sich um den Vorplatz des Hauses ein paar Musikprobe-räume, die vom Rest des Gebäudes vollkommen schallentkoppelt sind. Das Angebot steht sowohl den Bewohner:innen des Hauses als auch externen Gästen zur Verfügung. Der Wermutstropfen: Aufgrund der Coronapandemie und der immer noch nicht ausbalancierten Gemengelage zwischen Kulturbetrieb und Wirtschaftlichkeit ist man noch auf der Suche nach professionellen Betreiber:innen, die das räumliche Angebot der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Wohnen & Gewerbehof, Seestadt Aspern In unmittelbarer Nähe zur U2-Station errichtet die Wirtschaftsagentur Wien in Zusammenarbeit mit den vier Bauträgern ARE, EGW, Schönere Zukunft und VWA Aphrodite einen Wohn- und Gewerbehof mit 270 Wohnungen und 7.500 Quadratmeter Platz für Handwerksbetriebe, produzierendes Gewerbe und produktionsnahe Dienstleistungsbetriebe. Anmietbare Gewerbeflächen in sämtlichen Größen – mit Ladehof, Schwerlastaufzug und Lagerräumlichkeiten. Kontakt über die Wirtschaftsagentur. wohnen-gewerbehof.at, wirtschaftsagentur.at

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»Als ich in den 1990er-Jahren mit mehreren Bauträgern ein großes Wohnquartier in der Donaustadt entwickelt habe, gab es kaum eine Sensibilität für Nutzungen außerhalb des klassischen Wohnens«, sagt Kurt Hofstetter, Leiter und Koordinator der Internationalen Bauausstellung IBA Wien. »In der Zwischenzeit hat sich das dramatisch verändert. Wenn wir heute über Wohnen sprechen, dann meinen wir damit auch Arbeiten, Freizeit, Kultur, Mobilität, Infrastruktur, Nahversorgung und städtische Vernetzung mit der Nachbarschaft. Ein Projekt wie die ›Music Box‹ wäre damals undenkbar gewesen. Heute können wir uns an solchen Mixed-Use Häusern ein Beispiel nehmen.« Mit Erfolg: Die »Music Box« ist eines der Wiener Showcase Projekte, die im Rahmen der IBA 2022 noch bis Jahresende auf dem Areal des ehemaligen Nordwestbahnhofs zu sehen sind.

Kuku 23, Wien-Liesing In der Gastgebgasse in Liesing befindet sich Wiens berühmteste Sargfabrik. Die Produktion der Holzpyjamas ist nun Geschichte, die Zukunft des Areals ist weitaus lebendiger geplant: Neben 240 Wohnungen der beiden Bauträger Heimbau und Siedlungs-Genossenschaft Altmannsdorf und Hetzendorf entsteht hier ein lebendiges Grätzel mit Kultur, Freizeit und Gastronomie. Absolutes Highlight sind die sogenannten Wohnateliers für Kreativschaffende. kuku23.at, heimbau.at, ah-wohnen.at

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Wohnen und Arbeiten unter einem Dach ist bei Weitem kein Einzelfall. In der Umkehrschleife des O-Wagens in der Bruno-Marek-Allee, Ecke Taborstraße, entsteht in den kommenden Jahren die sogenannte »HausWirtschaft«. Das Projekt, das der ­gemeinnützige Bauträger EGW in Zusammenarbeit mit einszueins architektur und dem realitylab realisiert, hat mit 50 Prozent einen beachtlich hohen Gewerbeanteil. Die 3.500 Quadratmeter Gewerbefläche umfassen unter anderem Tischlerei, Zahnarzt, Tonstudio, Steuerberater, Co-Working-Spaces, Veranstaltungsräume sowie eine 600 Quadratmeter große Gesundheitswerkstatt für Praktiker:innen und Therapeut:innen im physischen und psychischen Bereich.

Village im Dritten Für den Bauträger Austrian Real Estate (ARE) plant das Wiener Architekturbüro diesen gemischten Holzwohnbau für eine 150-köpfige Baugruppe – mit Wohnen, Arbeiten und anmietbaren Wohn-Arbeits-Ateliers im Erdgeschoß. Die hybride Nutzung für Kreativschaffende und Kleingewerbetreibende soll das neue Stadtviertel in der Nähe der A23 Autobahnauffahrt beleben. Geplante Fertigstellung 2024. are.at, nonconform.at

© Nonconform

Die größte Schwierigkeit: Die gewerblichen Flächen im Erdgeschoß und in den ersten beiden Obergeschoßen verlangen nicht nur nach größeren und höheren Räumen, ­sondern auch nach einer Bündelung der ­Sanitärkerne. »Wie Sie sich vorstellen können, müssen wir hier zwischen Gewerbe- und Wohnbereich ganz schön viele Haustechnikschächte verziehen«, sagt Fritz Kittel, Geschäftsführer der EGW. »Das erzeugt einen gewissen Kostendruck, den wir bei einem klassischen Wohnprojekt nicht haben. Zudem müssen wir hier private und gewerbliche Mietrechtsformen miteinander kombinieren. Doch der Mehraufwand lohnt sich.«

G’mischter Block, Wien-Favoriten Der sogenannte »G’mischte Block« ist Teil des Grätzelerneuerungsprogramms WieNeu+ der Stadt Wien, dessen Intention es ist, Stadtteile aufzuwerten und klimafit zu machen. Dazu gehört auch die Funktionsvermischung von Wohnen und Arbeiten. Das Avoris-Projekt im zehnten Bezirk umfasst neben 75 Mietwohnungen auch gewerbliche Einheiten im Ausmaß von 2.000 Quadratmetern, -einen Bioladen, einen Veranstaltungsraum, einen Kindergarten und sogar eine anmietbare Showküche. avoris.at, t-hoch-n.com

© Frame

Nachdem im Zuge der Charta von Athen 1933 viele Jahrzehnte lang Wohnen, Arbeiten und Freiheit strikt voneinander getrennt und zum Teil sogar auf eigene Stadtviertel verteilt wurden, scheinen wir heute wieder die Vorteile einer durchmischten Stadt wiederzuentdecken. Diese längst überfällige Entwicklung macht auch vor der Immobilienwirtschaft nicht halt, die ihr künftiges Portfolio – ob im gemein­nützigen oder im freifinanzierten ­Bereich – nun völlig neu denken muss.

Music Box, Sonnwendviertel Die musikalische Wohnkiste in der Bloch-Bauer-Promenade 19 umfasst 161 servicierte, möblierte Apartments zwischen 25 und 54 Quadratmetern Wohnfläche. Je nach Größe und Ausstattungskategorie beträgt die Miete zwischen 760 und 1.400 Euro, die Mietdauer liegt zwischen zwei Monaten und zwei Jahren. In den Untergeschoßen der »Music Box« liegen Tanz- und Veranstaltungsräume sowie ein paar Musikproberäume, die allerdings noch auf eine:n gewerbliche:n Betreiber:in warten. Anmietung über room4rent. room4rent.at, heriundsalli.com, iba-wien.at

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