© Benthel Crouwel Architects

Von Hallo und Adieu: Die coolsten Bahnhöfe

Bahnhöfe waren immer schon magische Sehnsuchtsorte in einer Stadt. Die heutigen und zukünftigen Transitprojekte sind aber weit mehr: Kulminationspunkte für täglich Tausende Passagiere sowie Hotspots für Technologie und grüne Nachhaltigkeit.

01 . November 2023 - By Wojciech Czaja

Header-Bild: Hauptbahnhof Brno, Tschechien Der alte Bahnhof platzt aus allen Nähten und soll durch einen grünen, nachhaltigen Neubau ersetzt werden. Das Projekt von Benthem Crouwel und West 8 beweist: Reisen kann etwas Wunderschönes sein. Fertigstellung bis 2035.

Ein riesiges Tonnengewölbe spannt sich über die Bahnhofshalle, mit einer enormen Höhe und langen, ziegelverkleideten Betonträgern, aber auch mit einer warmen, haptisch angenehmen Holzoberfläche und einer vollflächigen Glasfassade, hinüber ins neue Business-Viertel. Und schließlich, nicht zu übersehen, der wichtigste bauliche Protagonist in dieser neuen, verkehrszelebrierenden Halle, mittig positioniert im gläsernen Bild in Richtung historischer Innenstadt – die prachtvolle Brünner Bischofskirche St. Peter und Paul mit ihren schwarzen gotischen Türmen, die wie dünne Nadeln in den Himmel hineinstechen.  »Der neue Hauptbahnhof Brno ist imposant, ergreifend und in vielerlei Hinsicht großartig«, sagt Pascal Cornips, Partner im holländischen Architekturbüro Benthem Crouwel, »zugleich aber dennoch menschlich im Maßstab, er ist monumental und ein neues architektonisches Wahrzeichen für die zweitgrößte Stadt Tschechiens, zugleich aber dennoch greifbar und gemütlich.« Die Anforderungen an den Bahnhof von morgen hätten sich stark gewandelt, so Cornips weiter. Im Gegensatz zu früher sei ein Bahnhof eine multimodale Verkehrsmaschine, die urbane, regionale, interurbane und internationale Mobilität in sich vereine. »Umso wichtiger war es uns, in dieser Geradlinigkeit und technologischen Kompromisslosigkeit, die so ein infrastrukturelles Bauwerk einfordert, ein gewisses Maß an Komfort, Sinnlichkeit und menschlichem Wohlbefinden zu bewahren.« 

Stuttgart 21, Deutschland Inszenierung der Bewegung: Mit einer komplett neuen Gleisanbindung und den bis zu 21 Meter großen Lichtaugen in der Decke soll der neue Stuttgarter Hauptbahnhof von Ingenhoven Architects ab Dezember 2025 Freude machen.

© WOOW Studio

Franz-Josefs-Bahnhof, Wien Wiens wahrscheinlich hässlichster Bahnhof wurde 1978 errichtet und war unter Wienern noch nie beliebt. Aktuell wird der Glaspalast nach Plänen von DMAA Delugan Meissl Associated Architects zum »Francis« umgebaut. 

© DMAA Delugan Meissl Associated Architects

Magische Orte

Brünn war eine der ersten Städte der Welt, die ans damals noch junge Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Die k.k. Kaiser-Ferdinand-Nordbahn führte von Wien über Lundenburg und Brünn bis nach Krakau und Bochnia. Am 15. Dezember 1838 – vor geraumen 185 Jahren also – fuhr der erste Zug in den Bahnhof ein. Seit damals spielte der zentral gelegene Verkehrsknotenpunkt eine wichtige Rolle in der Anbindung der Stadt an ein großes Europa. Doch inzwischen platzt der historische, immer wieder überformte Bestandsbau aus allen Nähten. Auch die unterirdische Erweiterung aus den 1980er-Jahren ist nicht mehr imstande, die steigenden Passagierzahlen aufzunehmen. Aus diesem Grund hat die Stadtverwaltung beschlossen, den Hauptbahnhof umzusiedeln und den internationalen Zugverkehr in Zukunft am Standort des heutigen Brno dolní nádraží zu bündeln. Anfang des Jahres wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, im Juli ging das in Amsterdam beheimatete Büro Benthem Crouwel in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsplanungsbüro West 8 als Sieger hervor. Das Projekt sieht eine bogenförmige Vorhalle und eine große Gleishalle in Stahl-Glas-Holz-Hybridbauweise vor. Besonderer Clou: Die neuen Busbahnsteige sollen in die Bahnhofshalle integriert werden und wie ein Zug über Stiege, Rolltreppe und Lift erreichbar sein. Damit soll dem multi-modalen Verkehr Rechnung getragen werden. »Wer heute mit dem Zug ankommt, hat nicht das Gefühl, in einer Stadt mit 400.000 Einwohner:innen zu sein«, sagt der Brünner Stadtarchitekt Michal Sedláček. »Man bewegt sich unterirdisch und schlüpft über hässliche Korridore und ein viel zu enges Einkaufszentrum in die Stadt hinein. Mit dem neuen Projekt wird sich das ändern.« Zudem soll der künftige Hauptbahnhof ein Haupt-Player in Sachen Nachhaltigkeit sein: Das Betonvolumen soll reduziert werden, der Bahnhof mit dem Grund- und Flusswasser der angrenzenden Svratka temperiert werden, unter den Gleisen soll eine grüne Uferpromenade mit Restaurants, Cafés und diversen Wassersport-Angeboten errichtet werden. Die Fertigstellung des neuen XXL-Projekts ist für 2032 bis 2035 vor­gesehen.  Bahnhöfe waren immer schon magische Orte in einer Stadt, begehrte Planungsprojekte für Architekt:innen, faszinierende Drehscheiben für Verkehrsplaner:innen. »In den Bahnhof eintretend, befinden wir uns plötzlich in einer vollkommen anderen Welt, Bahnhöfe sind eine beschleunigte Zeit und zugleich Endstationen einer Utopie«, schrieb einmal die ungarische Philosophin Ágnes Heller. »Ich könnte jahrelang zu Hause sitzen und zufrieden sein«, meinte der österreichische Schriftsteller Joseph Roth, »wenn nur nicht die Bahnhöfe wären!« Und Wolfgang Kos, Historiker und ehemaliger Direktor des Wien Museums, bezeichnete Bahnhöfe in einer Ausstellung einmal als »Orte des Abschiednehmens – zuständig für Verschwundenes und eben Verschwindendes.« So süß, so surreal, so sentimental der Bahnhof als exotischer, weit in die Ferne führender Transit- und Sehnsuchtsraum stets war, so herausfordernd sind die Aufgaben an heutige und künftige Bahn­höfe. Sie sind nicht nur Kulminationspunkte für täglich Abertausende und jährlich Abermillionen Passagiere, sondern als solche auch Hotspots für Mobilität, Technologie, ökologische Nachhaltigkeit. Ob in Wien, Stuttgart, Neapel, Taiwan oder Australien: In diesen Gebäuden versteht man mehr als bloß Bahnhof. 

Coburg, Australien Klein, aber sehr oho: Die großen Bogenfenster von Wood Marsh Architects an der Ost- und Westfassade des Regionalbahnhofs sind eine Anspielung auf zwei bekannte Gebäude in Melbourne: Flinders Street Station und The National Gallery of Victoria. 

© Peter Clarke

Napoli-Afragola, Italien Selbst fünf Jahre nach Fertigstellung ist der Hochgeschwindigkeitsbahnhof in Neapel immer noch eines der radikalsten und »schnellsten« Gebäude der Welt. Die Formensprache stammt unverkennbar von ZHA Zaha Hadid Architects.

© Hufton + Crow

Kaohsiung Station, Taiwan Bei seiner Fertigstellung 2024 soll dies der grünste Highspeed-Verkehrsknotenpunkt der Welt sein: Das 8,5 Hektar große Gelände umfasst Zug, Bus, U-Bahn,
Taxi, Bike-Garage und eine begrünte, öffentlich zugängliche Dachlandschaft. Von Mecanoo.

© Shawn Liu Studio, Ethan Lee

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