Wohndesign-Entwicklung: Wie feiern wir das Wohnen?
Was hat sich in den letzten zehn Jahren im Bereich Wohndesign getan? Welche Veränderungen sind am Markt zu beobachten? Und welche dringlichen Fragen und Themen stehen heute an? Zum zehnjährigen Geburtstag diskutieren wir im Rahmen eines Experten-Talks mit Architekt Christian Heiss, Designer Christoph March und Keramikkünstlerin Sandra Haischberger.
28 . April 2023 - By Wojciech Czaja
LiVING Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Möbelstück in Ihrer Wohnung. Welches Möbel wären Sie denn gerne?
Haischberger Ich wäre gerne ein Ohrwaschl-Sessel zum Reinkuscheln.
Heiss Eine Stehlampe.
March Ich habe zu Hause einen alten Schreibtisch aus Metall, ich schätze, aus den 1930er- oder 1940er-Jahren, eine Leihgabe von einem guten Freund. Ich wäre gerne -dieser Schreibtisch, weil ich glaube, dass er schon viel erlebt und viel zu erzählen hat.
Was genau würde dieses Möbelstück über Sie und über Ihre Wohngewohnheiten erzählen?
March Der Schreibtisch würde erzählen, wie ordentlich der Christoph ist und wie viel Wert er darauf legt, dass die Schreibtisch-oberfläche immer schön aufgeräumt wirkt.
Haischberger Ich denke, der Sessel -würde erzählen, wie gerne die Sandra da drin sitzt und ein bissl vom Alltag abschaltet – mit Teetrinken, Zeitunglesen und manchmal auch Stricken.
Heiss Es geht um das Geheimnis der Sonne. Denn das Wichtigste in der Architektur ist schönes Tageslicht, das Zweitwichtigste ist eine gute, schöne Beleuchtung.
In einigen Kulturkreisen gibt es eine starke Verbindung zwischen Architektur, Innenraum, Möbeldesign und Gestaltung von Accessoires. Wie ist die geschichtliche Situation in Österreich?
Heiss Einige Architekten, wie etwa Otto Wagner, Adolf Loos oder Josef Hoffmann, haben ihre Wohnungen und Häuser bis zum allerletzten Millimeter durchgeplant, oft sogar Lampen, Türgriffe, Vasen, Besteck und Textilien entworfen. Das finde ich einerseits sehr spannend, aber es ist auch ein Relikt aus der Vergangenheit, denn heute wird dieser homogene Guss meist nicht mehr angestrebt. Eine große Ausnahme ist die Hotellerie. Im Hotel – das wissen wir von den Feedbacks der Gäste – sehnen sich die Leute immer noch nach einer einheitlichen Handschrift, nach einer visuellen Geschichte, die hier erzählt wird.
Haischberger Ich habe auch das Gefühl, dass der einheitliche Guss eher der Vergangenheit angehört. Alles in einer Handschrift bis zur Sesselleiste – das hat zwar eine gewisse Faszination, aber es kann bald zu viel und zu fad werden. Gerade im Wohnen braucht es eine Mischung aus Brüchen und Überraschungen. Erst das macht den Charme aus!
Heiss Ich habe immer wieder mit Bauherr:innen zu tun, die mir dann sagen: »Jetzt ziehen wir um und werden uns komplett neu einrichten.« Ich sage dann immer: »Nein, bitte nicht! Lasst euch Zeit! Traut euch Brüche zu! Kauft euch eine Lampe auf einem Flohmarkt in Paris!« Sonst schaut’s am Ende aus wie in einem Hotelzimmer.
»Einige Architekten, wie etwa Adolf Loos oder Josef Hoffmann, haben ihre Häuser bis zum allerletzten Millimeter durchgeplant, aber es ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Heute wird dieser homogene Guss meist nicht mehr angestrebt.« Christian Heiss Architekt
Welche Rolle spielt dieses geschichtliche Bekenntnis zum Gesamtkunstwerk bei Ihnen?
March Ich sehe das weniger kritisch. Beziehungsweise ist dies eine Qualität, von der wir als Designer und Innenraumgestalter durchaus profitieren. Neben klassischem Möbel- und Produktdesign machen wir ganze Interior-Konzepte für Museen, Ausstellungen, Bäckereien und Modeboutiquen. Das Gesamtkunstwerk ist bei diesen Aufgaben – ähnlich wie in der Hotellerie, wie Sie meinen, Herr Heiss – immer noch sehr gefragt, denn es verzaubert die Besucher:innen, es entführt sie auf eine Reise.
Sie streben diese einheitliche Handschrift also bewusst an?
March Zu einem gewissen Grad sehr wohl. Denn die Architektur im Objektbereich ist heute so komplex und vielschichtig, mit Architekt:innen, Interior-Planer:innen, Thekenplaner:innen, Lüftungstechniker:innen, Lichtspezialist:innen, Gastroküchenbauer:innen, diversen anderen Fachleuten, und es planen so viele unterschiedliche Gewerke mit, dass es hier tatsächlich einen gewissen roten Faden braucht, den wir gezielt anstreben.
Haischberger Das merken wir auch bei unseren B2B-Kund:innen: Die Betriebe, die wir beliefern, legen Wert auf eine einheitliche Linie. Corporate Design spielt eine wichtige Rolle.
Welche Themen, welche Entwicklungen sind denn in den letzten zehn Jahren zu beobachten?
Haischberger Vor zehn Jahren war alles skandinavisch: kühl, schlicht, farblos, naturverbunden. Und ich bin, ehrlich gesagt, heilfroh, dass dieser Skandi-Gleichklang allmählich wieder verschwindet, denn nach einigen Jahren ist das echt fad geworden.
Welchen Trend beobachten Sie heute?
Haischberger Alles ist bunt und üppig, kräftig bedruckte Keramikteller, überall sind Dschungeltapeten an der Wand. Manchmal habe ich das Gefühl, dass alle Hotels und Restaurants gleich ausschauen.
Heiss Und dank Social Media, Digitalisierung und Design-Blogs ist es leider so, dass all diese Trends und Entwicklungen überall auf der Welt nahezu gleichzeitig passieren. Heute werden die Trends mit einem Mausklick gemacht: Wien, New York, Shanghai – alle Auslagen und Lobbys verändern sich nahezu gleichzeitig.