Wie wohnt es sich im Freien?
Welche Rolle spielt der private Freiraum bei gemeinnützigen und gewerblichen Bauträgern? Was wünschen sich Mieter:innen und Käufer:innen? Und worauf ist in der Planung besonders zu achten? Darüber sprechen Cilli Wiltschko von der WBV-GPA, Michael Schmidt von der 3SI Immogroup sowie der Landschaftsarchitekt Kieran Fraser.
02 . Juni 2023 - By Wojciech Czaja
LIVING Haben Sie selbst eine Terrasse oder einen Balkon?
Cilli Wiltschko Ich wohne im siebenten Bezirk und habe das große Glück, eine Dachterrasse zu haben. Ich kann es in der Früh kaum erwarten, mit dem Kaffeehäferl rauszugehen und ein bissl an den Pflanzen herumzuzupfen.
Kieran Fraser Wir haben seit Kurzem eine 30 Quadratmeter große Terrasse, die wir täglich nutzen. Als Landschaftsarchitekt schäme ich mich ein bisschen, denn ich habe sie überhaupt nicht im Griff. In meinen Töpfen herrscht Wildnis! So eine Terrasse braucht viel Zeit und Geduld.
Michael Schmidt Ich wohne in einem Einfamilienhaus in Brunn am Gebirge mit großem Garten und Swimmingpool, gleich daneben grenzt ein Weingarten an, in dem wir regelmäßig Hasen und Rehe sehen. Schon eine tolle Lebensqualität.
Werfen wir einmal einen Blick in die Vergangenheit: Welche Rolle spielte der Freiraum in der Entwicklung des Wohnens?
Fraser Natürlich denkt man zunächst einmal unweigerlich an die antike Villa, die sich wohlhabende Römer am Stadtrand errichten ließen, um dem großstädtischen Gestank zu entgehen, sehr oft mit einem innen liegenden Garten.
Wiltschko Meine ideale Wohnform war immer schon ein Atriumhaus! Ich finde innen liegende Atrien zutiefst faszinierend, wie ein Zimmer ohne Plafond, ruhig und uneinsichtig, mit Blick in den blauen Himmel.
Fraser In der weiteren Entwicklung sehe ich mehrere Stränge. Erstens die herrschaftliche Gartenanlage, die in verschiedenen Kulturen und Epochen meist dem Klerus und der wohlhabenden, feudalen Schicht vorbehalten war. Leider hat diese Kultur heute an Bedeutung verloren. Zweitens den privaten Nutzgarten, der vor allem der Selbstversorgung diente. Durch Arbeitsteilung und Industrialisierung hat sich auch hier viel verändert, wie man an den öden, monotonen Rasen- und Kiesflächen vieler Privatgärten sieht. Und drittens den städtischen Freiraum, der je nach Kulturkreis mehr oder weniger individuell angeeignet werden kann. Er unterliegt im besten Fall einer permanenten demokratischen Verhandlung, wird aber auch zunehmend reglementiert und kontrolliert.
Wie war das zur Jahrhundertwende?
Schmidt Das klassische Zinshaus war sehr dicht bewohnt, mit Bettgeher:innen und meist mehreren Generationen. Es gab zwar nur in den seltensten Fällen Balkone, und wenn, dann meist nur im großbürgerlichen Zinshaus, aber dafür war der gemeinsame Freiraum sehr belebt – also die Gärten, Innenhöfe und Stiegen-häuser. Sogar im Straßenbereich vor dem Haus gab es viel Leben.
Wiltschko Diese Kultur war auch im Roten Wien zu beobachten. Die Gemeindebauten, die in den 1920er- und 1930er-Jahren errichtet wurden, hatten zwar meist kleine Wohnungen, dafür aber prächtige Gemeinschaftseinrich-tungen, wie etwa Kino, Theater, Waschküche, Kindergarten und Bibliothek. Die Höfe und Gartenanlagen spielten eine große Rolle. Hier sind die Menschen ins Gespräch gekommen.
Seit wann gibt es in der Architektur wohnungsbezogene Freiräume, also Balkone und Terrassen?
Schmidt Das ist schwer zu sagen. Aber das älteste Haus in unserem Portfolio stammt aus dem 17. Jahrhundert, ein Wohnhaus am Neuen Markt, und das hat bereits kleine Klopfbalkönchen!
Wiltschko Auch im Biedermeier gab es viele Häuser mit Laubengängen, die zugleich als privater Balkon genutzt wurden.
Und seit wann wird der private Freiraum so geliebt, gepflegt und gestaltet, wie wir dies heute vorfinden? Mit Frühstückstisch, Kräutertrog und Gartenzwerg?
Schmidt Ich hätte den Anfang in der Wohnsiedlung Alt-Erlaa gesehen, wo Architekt Harry Glück erstmals wirklich großartige Loggien und Balkone vorgesehen hat.
Wiltschko Heute ist der private Freiraum so wichtig wie noch nie.
Schmidt Ganz gleich ob im preisgünstigen oder gehobenen Wohnsegment: Die Menschen sehnen sich nach privaten Freiflächen, und abgesehen von Altbauten, wo dies baulich oft nicht möglich ist, sind Wohnungen ohne Loggia, Balkon, Terrasse oder eigene Gartenfläche heute kaum noch zu vermarkten.
Wiltschko Wir haben im Neubau keine einzige Wohnung ohne zugehörigen Freiraum – also ohne Balkon, Loggia oder Terrasse. Einen kleinen Anteil bilden die Erdgeschoßwohnungen mit Eigengarten.
Wie groß ist ein Durchschnittsbalkon im geförderten Wohnbau?
Wiltschko Das ist schwer zu sagen. Hängt von der Gebäudekonfiguration ab. Fünf bis sieben Quadratmeter, würde ich sagen, auf jeden Fall in einer angemessenen Größenrelation zur Wohnung. Eine Vier-Zimmer-Wohnung mit kleinem Minibalkon wird nicht viel Sinn machen.
Fraser Das ist schön und gut. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass wir in Zukunft alle Wohnungen mit großen Balkonen ausstatten werden. Für eine lebenswerte Stadt werden kollektiv nutzbare Grünräume immer wichtiger!
Inwiefern?
Fraser In der verdichteten Stadt werden nicht alle in den Genuss eines privaten Freiraums kommen. Und mit Balkonien allein können wir den urbanen Auswirkungen des Klimawandels nicht begegnen. Wir brauchen größere, naturnahe Grünräume, in denen die Natur für eine zunehmend gestresste Dienstleistungsgesellschaft erlebbar wird. Das Grün muss wieder zu uns kommen.